wappen posenZeugen unserer Geschichte
Wappen der Stadt Tirschtiegel

Text: Joachim Schmidt

Tirschtiegel zählt zu den Orten unserer Heimat, die schon in prähistorischer Zeit besiedelt wurden. Viele Funde von keramischen Gefäßen, Steinwerkzeugen, Erdwällen und Pfahlbauresten im Stadtgebiet und der näheren Umgebung sind Zeugnisse einer sehr frühen Geschichte (siehe HGr 174, Seite 17: Archäologische Funde aus vorgeschichtlicher Zeit an der Obra zwischen Tirschtiegel und Naßlettel). Der heutige Siedlungskern der Altstadt wird auf eine altslawische Wehrsiedlung zurückgeführt. Die günstige Lage des Ortes rechts der Obra mit der Einmündung des Schwarzwassers, das durch Schwemmsand das Flußbett flach hält und damit in dem langgestreckten Sumpf- und Seengebiet der Obra eine günstige Furt bietet, hat sicher schon sehr früh auch zur Ansiedlung nichtslawischer Bewohner beigetragen. Ebenso der Altstädter Markt, der auf halbem Weg zwischen Posen und Frankfurt/O. an der Handelsstraße liegt.
August Menzel berichtet in seiner Stadtchronik, daß der Ort in einer Urkunde aus dem Jahr 1252, die anläßlich von Erbstreitigkeiten Boleslaus II. Jagiello mit seinen Brüdern angelegt wird, den Namen Torstetel (Torstädtchen) trägt – vielleicht ein Hinweis auf einen durch Palisaden und Tore gesicherten Handelsplatz. Der frühe deutsche Name der slawischen Siedlung an der Obra erlaubt den Schluß, daß Tirschtiegel schon sehr früh auch von Deutschstämmigen bewohnt ist.

Die nahe Wasserburganlage im Obraflutbereich – wie die Burgen in Meseritz und Bentschen, wahrscheinlich durch Boleslaw I. Chrobry (992-1025) zum Schutz der slawischen Westgebiete errichtet – gilt als unbezwingbar und trägt sicher auch zur Namensgebung bei. 1293 kommt das Gebiet an Herzog Heinrich III. von Glogau, der es kurze Zeit später an den Markgrafen Konrad von Brandenburg verpfändet.
1308 übernimmt Markgraf Waldemar, der letzte Askanier, die Führung Brandenburgs. Es gelingt ihm 1316 (Schlacht bei Gransee) Brandenburg, zu dem nun Tirschtiegel gehört, gegen die Könige Ungarns, Dänemarks, Schwedens und Polens, die miteinander verbündet sind, erfolgreich zu verteidigen. 1319 versucht Markgraf Waldemar durch einen Vertrag mit den Söhnen Heinrichs des Getreuen von Schlesien das östliche Gebiet Brandenburgs zu sichern. Vier Tage nach dem Vertrag verstirbt plötzlich der erst 28jährige Markgraf. Damit fallen die Gebiete im Osten Brandenburgs, Meseritz mit Tirschtiegel, Schwiebus, Züllichau und Crossen wieder an die Herzöge Schlesiens. Zwischen 1329 und 1335 gelingt es dem großpolnischen Ritter Maczko Borkowicz die westlich gelegenen Obraburgen Meseritz, Tirschtiegel und Bentschen zu erobern. Seit wann genau Tirschtiegel nun wieder zu Polen gehört, so A. Menzel, ist nicht festzustellen.
1458 erhält Tirschtiegel von Kazimierz Jagiellonczyk das vollständige Stadtrecht. In der Stammliste des gleichen Jahres über militärische Verpflichtungen der Posener Städte wird Tirschtiegel verpflichtet 2 Soldaten zu stellen. Tirschtiegel, nun schon über längere Zeit Mediatstadt, d.h. unter der Herrschaft eines Grundherren stehend, erlebt in den folgenden Jahrzehnten wechselnde Besitzer mit eigener Gesetzgebung und Rechtsprechung. Die Bewahrung wichtiger städtischer Urkunden und Aufzeichnungen liegt in den Händen der Grundbesitzer und führt schließlich dazu, daß bei einem Großbrand im schwedisch-polnischen Krieg 1655 alle städtischen Unterlagen verbrennen. Auch die als uneinnehmbar geltende Burg wird von den Schweden zerstört.

1629 erscheint auf einem Gesellenbrief in Tirschtiegel die Ortsbezeichnung Tirstidere. Wann Tirschtiegel die polnische, für uns schwer auszusprechende Ortsbezeichnung Trzciel (vom Altslawischen „trzcielina“ d.h. Schilfrohr) erhielt, ist nicht bekannt.
Während des Dreißigjährigen Krieges 1618 – 1648 kommt es in Mitteleuropa neben der Zerstörung vieler Städte zur Verwüstung großer Landstriche und zu umfangreichen Vertreibungen evangelischer sowie katholischer Christen. In der Zeit zwischen 1630 und 1640 suchen zahlreiche geflüchtete und vertriebene lutherische Christen aus dem schlesisch-bömischen Raum in Tirschtiegel Schutz. Der sehr tolerante Grundherr Graf Bnin ist den lutherischen Christen zugetan und ermöglicht ihnen auf der westlichen Seite der Obra gegenüber der Altstadt eine Siedlung mit einem Markt anzulegen. Die Siedlung wächst sehr schnell und wird bald größer und wirtschaftskräftiger als die Altstadt. Beide Stadtteile, durch die Obra getrennt, sind selbständig und haben eigene Bürgermeister und Verwaltungen. Der seltsame Name Tirschtiegel für die Neustadt, später für die ganze Stadt, bleibt für A. Menzel ein Rätsel. Daß sich die in der Neustadt aus den verschiedenen Regionen Deutschlands während des 30-jährigen Krieges geflüchteten und vertriebenen Menschen als Schmelz-Tiegel verstanden, kann man vermuten, ebenso, daß aus dem für deutsche Zungen kaum aussprechbaren Trzciel ein tirsch wurde – also Tirschtiegel?


Prof. Otto Hupp schreibt zum Wappen von Tirschtiegel/Trzciel: »Es trägt die Jahreszahl 1659. In Blau über Wellen steht eine zweitürmige, torlose, silberne Burg; auf den Zinnen zwischen den Türmen St. Georg zu Pferde, den Drachen tötend.«
Das Wappenbild scheint aus einer Verschmelzung der Siegelbilder der Neu- und Altstadt hervorgegangen zu sein. (Das „Sigillum Oppidi Trzciel Anno 1658“ der katholischen Altstadt zeigt nur den siegenden St. Georg. Das „Sigillum Oppidi Noui Trze Lensis“ in der lutherischen Neustadt nur die zweitürmige Burg.) Die Neustadt Tirschtiegel gehört zunächst zur evangelisch- lutherischen Pfarrgemeinde Bauchwitz. 1775 erhält Tirschtiegel einen eigenen evangelischen Pfarrer. Wie z.B. Meseritz und Betsche, so hatte auch Tirschtiegel schon sehr früh eine jüdische Gemeinde. Zeugen sind bis heute der noch erhaltene jüdische Friedhof und die seit dem Nationalsozialismus zweckentfremdete Synagoge. Wann die jüdische Gemeinde ihren Anfang nahm, ist nicht bekannt. Im Rahmen der dritten Teilung Polens wird Tirschtiegel 1793 preußisch.

Im Oktober 1888 werden die Altstadt und die Neustadt zu einer Stadtgemeinde mit einer Verwaltung und einem Bürgermeister vereinigt. Nach dem 1. Weltkrieg verliert 1919 durch den Vertrag von Versailles Tirschtiegel seinen Bahnhof, einen Friedhof und das gesamte Land der Altstädter Ackerbürger an Polen. Den Versuch, die Grenzziehung mit Waffengewalt zu verhindern, bezahlen 16 junge Tirschtiegeler bei Lomnitz mit ihrem Leben.
1938 kommt nach Auflösung der Grenzmark Posen-Westpreußen Tirschtiegel zur Mark Brandenburg. Bis 1939 ist Tirschtiegel mit vielen wirtschaftlichen Nachteilen Grenzstadt im Deutschen Osten. Am 28. Januar 1945 erobert die Rote Armee die nur schwach verteidigte Stadt. Tirschtiegel wird wieder eine polnische Stadt. In seiner fast 1000-jährigen Geschichte gehörte Tirschtiegel nur 32 Jahre zur Mark Brandenburg.


Prof. Hupp lebte von 1859 bis 1949. Neben der Herausgabe eines 4-bändigen Werkes: «Wappen und Siegel der deutschen Städte, Flecken und Dörfer», wurde er u. a. bekannt durch Wandgemälde im alten Reichstag und im Bayerischen Nationalmuseum.