NACHRUF
Zum Gedenken an Leonhard von Kalckreuth


Am 14. Juli 2017 starb in Bonn LEONHARD VON KALCKREUTH im 87. Lebensjahr. Er war seit dem Jahr 2000 Vorsitzender des Heimatkreises Meseritz e.V. und der Heimatkreisgemeinschaft Birnbaum. Die hier veröffentlichten Nachrufe sind Originalwortbeiträge, gehalten bei den Gedenkveranstaltungen und Trauerfeierlichkeiten am 13./ 14.10.2017 in Polen.




Würdigung von Leonard v. Kalckreuth im Museum Meseritz Dr. Wolfgang KessleWürdigung von Leonard v. Kalckreuth im Museum Meseritz
Dr. Wolfgang Kessler


Heute würdigen wir hier das Wirken Leonhards von Kalckreuths für die Kreisgemeinschaften Meseritz und Birnbaum in Deutschland, seine Leistungen aber auch für die heutigen Kreise Miedzyrzecz und Miedzychód in Polen.
Die Vorsitzende der Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen, Frau Prof. Dr. Isabell Röskau-Rydel (Krakau), hat mich gebeten einige Gedenkworte im Namen der Kommission zu sprechen.

Leonhard v. Kalckreuth hat sich für die Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen in seiner Geburtsheimat eingesetzt. Es ist ein Zeichen der Achtung für ihn, aber auch für die, die heute in seiner Heimat zwischen Muchocin und Gorzyca (Ober Görzig) leben, daß ich diese Worte des Gedenkens in polnischer Sprache ausdrücke. Bei der Einweihung des Gedenksteins in Miedzychód (Birnbaum) hat Leonhard von Kalckreuth selbst seine Ansprache in polnischer Sprache verlesen.

Leonhard v. Kalckreuth war seit mehr als fünfzehn Jahren Mitglied der Kommission. Er war kein Historiker vom Fach, hat aber neben zahlreichen historischen Beiträgen im „Heimatgruß“ in Ergänzung der Familiengeschichte eine – leider bislang ungedruckte – vorzügliche Genealogie des Zweigs der Familie von Kalckreuth in Großpolen verfaßt, seiner Familie, der König Jan III. Sobieski 1675 das polnische Indigenat verliehen hat.
In einem Interview mit der „Gazeta Lubuska“ (01.12.2012) hat Leonhard v. Kalckreuth bekannt „In meinen Adern fließt viel polnisches Blut“. Der Heimatkreis Meseritz hat sich lange – dem Verwaltungsstand von 1938 bis 1945 entsprechend – innerhalb der Landsmannschaft Berlin- Mark Brandenburg (jetzt Ostbrandenburg) organisiert.

Leonhard v. Kalckreuth hat dagegen immer wieder die großpolnische und Posener Geschichte des Kreisgebiets betont: „Für mich ist unser Heimatkreis“, stellte er sich 2000 den Mitgliedern des Heimatkreises vor, „unverändert Teil der Provinz Posen und nicht der Neumark. Ich arbeite an dem langfristigen Ziel, eines Tages eine gemeinsame Plattform der Geschichtsbetrachtung mit den Polen zu erreichen.“

Leider ist es zu dieser über den Dialog mit Einzelnen hinausgehenden gemeinsamen Plattform zu seinen Lebzeiten nicht gekommen.
Leonhard v. Kalckreuth hat sich für eine historisch korrekte, der, wie er zu sagen pflegte, „historischen Wahrheit“ verpflichtete Darstellung der Geschichte seines Heimatraums eingesetzt, die er – anders als in landsmannschaftlichen Gruppierungen verbreitet – nicht deutschnational oder gar nationalistisch verstanden hat.

Er war der wohl letzte deutsche Zeitzeuge für die Geschichte des Großgrundbesitzes auf beiden Seiten der deutsch-polnischen Grenze von 1920. Dessen Lage hat er nüchtern beurteilt, ebenso das deutsch-polnische Verhältnis: ohne Martyrologie und ohne falsche Apologie.
In den Diskussionen der Kommission hat er sich immer wieder ausgleichend und vermittelnd geäußert. Wissenschaftliche Forschungen hat er gefördert und unterstützt, so die Forschungen von Torsten Lorenz zur Geschichte von Birnbaum oder die Geschichte des Meseritzer Landes von Andrzej Kirmiel, doch fehlte es in Deutschland darüber hinaus an Forschungsimpulsen, die seine Anregungen aufgegriffen hätten.
Den Abschluß des Kommissionsprojekts „Kleine Städte in Großpolen“, das auch Meseritz und Birnbaum einbezieht, hat er nicht mehr erlebt.
Bei der letzten Kommissionstagung Ende September 2017 zu Großgrundbesitz und Agrarreform fehlte er als Zeitzeuge, der manches über die Quellenüberlieferung hinaus hätte ergänzen können. Leonhard v. Kalckreuth hat aus der Einsicht in die Generationsgebundenheit der Heimatkreisorganisation den Verbleib der Sammlungen des Heimatkreises, die seit den 1980er Jahren im Rahmen der „Patenschaft“ des Kreises Paderborn vom Kreismuseum Paderborn in Wewelsburg verwaltet worden sind, geregelt:
Die musealen Sammlungen hat er dem Museum hier in Miedzyrzecz übergeben, die Übergabe des Archivs an die Martin-Opitz-Bibliothek in Herne hat er noch eingeleitet, konnte sie aber wegen seiner Erkrankung nicht mehr begleiten. Die Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen wird sein Andenken ehren.




Würdigung von Leonard v. Kalckreuth im Museum Meseritz Dr. Wolfgang Kessle »Er wird uns fehlen ... doch das bleibt«.
Erinnerungen im Kontext der deutsch-polnischen Zusammenarbeit
Albrecht Fischer von Mollard:

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde!

Ich habe Leonhard v. Kalckreuth im Jahre 2006 kennengelernt, als er mich damals für die Mitarbeit im Beirat des Heimatkreises geworben hatte. Für mich war die Auseinandersetzung mit dem Begriff „Heimat“, die Beschäftigung mit den eigenen „Wurzeln“, die Fragen nach der eigenen Herkunft noch weitgehend Neuland.

1941 in Meseritz geboren und die ersten 40 Lebensmonate auf Schloss Tirschtiegel verbracht, habe ich keinerlei Erinnerung an meine Heimat, von der nach der Flucht meine Eltern und die älteren Geschwister oft und viel erzählt hatten.
Bedingt durch die nicht vorhandenen Erinnerungen fehlten mir auch andere entscheidende Merkmale eines typischen „Heimatfreundes“

- die Sehnsucht nach der Heimat,
- die Liebe zur Heimat,
- die Kindheitserfahrungen aus der Heimat
und schließlich als Konglomerat all’ dieser emotionalen Werte fehlte mir – ich denke ohne eigenes Verschulden -
- die Bindung an die Heimat bzw. die Verbundenheit mit ihr.

Meine erste direkte, d.h. bewußte Berührung mit dieser „Heimat“ fand erst 1976 statt, als ich gemeinsam mit meiner Mutter und 2 älteren Geschwistern für 5 Tage in Tirschtiegel war.
Für mich war diese Fahrt vor 41 Jahren keine Reise in die Vergangenheit, es war eine „abenteuer-touristische Expedition“ in eine sehr schöne, mir unbekannte Landschaft und eine Begegnung mit Menschen, die trotz ihrer Armut überaus gastfreundlich waren – großenteils ehemalige Angestellte meiner Eltern.
Möglicherweise weckte dieser Besuch damals im Unterbewußtsein bei mir die Neugier auf „Heimat“, auf den Kreis Meseritz - jedenfalls wurde ich 30 Jahre nach meiner ersten Fahrt in die Heimat im Jahre 2006 Beirat im Heimatkreis Meseritz und lernte die Meseritzer und Birnbaumer Heimatfreunde mit ihrer Liebe und emotionalen Bindung zur Heimat kennen. So auch Leonhard, der, 11 Jahre älter als ich und mit den erwähnten Attributen eines Heimatfreundes reichlich ausgestattet, seit dem 16. September 2000 bis zu seinem Tod am 14. Juli dieses Jahres Vorsitzender des Heimatkreises Meseritz war.

Sein hohes Engagement für den Verein resultierte aus der Zielsetzung, „eines Tages eine gemeinsame Plattform der Geschichtsbetrachtung mit den Polen zu erreichen“, wie er es formuliert hatte.
Dabei ging es ihm stets um die ideologiefreie, objektive, historische Wahrheit. Und ihm ging es um Aussöhnung, um Verständigung und Freundschaft zwischen Polen und Deutschland. Er war ein unermüdlicher Brückenbauer, der seine Ziele im Verein und weit darüber hinaus konsequent und kompromißlos verfolgte. Davon zeugen viele Beiträge, die er in den letzten 17 Jahren für den Heimatgruß geschrieben hatte und die noch heute im Internet-Portal des Heimatkreises nachzulesen sind, das 2002 auf seine Initiative hin eingerichtet wurde.

Es sprengt den Rahmen, würde ich alle Projekte einzeln beschreiben, die Leonhard v. Kalckreuth in seiner Zeit als Vorsitzender des Vereins initiiert und auf den Weg gebracht hatte. Ganz besonders lag ihm die Gedenktafel an der ehemaligen evangelischen Kirche in Birnbaum Lindenstadt am Herzen, die er genau 74 Jahre nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen 2013 dem Probst der Gemeinde feierlich übergab.
Jeden einzelnen der zahlreichen in den letzten 20 Jahren aufgestellten, zweisprachig gestalteten Gedenksteine, die an die 150-jährige deutsche Vergangenheit der Region Meseritz/Birnbaum erinnern, können und sollten wir - Polen wie Deutsche - als Baustein zum Fundament dieser imaginären, unsere Völker verbindenden Brücke betrachten, deren Errichtung Leonhard sich als Lebensaufgabe gestellt hatte.

Morgen nun wird die Urne mit seiner Asche in heimatliche Erde gesenkt werden. Damit schließt sich buchstäblich der Kreis - ein Lebenskreis, der am 26. August 1930 in Obrawalde seinen Ausgangspunkt nahm, im Laufe von nahezu 87 Jahren Leonhard weit hinaus in alle Erdteile trug und ihn nun am Ende seines irdischen Lebens zurück in seine geliebte Heimat führt.
Die Beisetzung seiner sterblichen Überreste hier in Polen hat jedoch noch eine andere Dimension. Man kann sie als eine Botschaft betrachten: „Seht her, die Brücke, an der ich mitgebaut habe, trägt! Sie ist zwar noch nicht fertiggestellt, aber sie ermöglicht immerhin schon, daß ich in Heimaterde zurückkehren darf!“

Der Heimatkreis Meseritz e.V. und die Heimatkreisgemeinde Birnbaum sind Leonhard v. Kalckreuth unendlich dankbar für sein Engagement, für sein stetes Streben nach gutnachbarschaftlichen, ja freundschaftlichen Beziehungen mit Polen und insbesondere mit der Heimatregion Meseritz/Birnbaum.

Er wird uns fehlen – und was bleibt?
Zunächst einmal bleibt eine riesige Lücke, die niemand zu schließen vermag. Sein Wissen, sein Engagement, seine zahllosen Kontakte sowohl in Polen wie in Deutschland und seine Erfahrungen kann niemand ersetzen.
Dennoch wird der Heimatkreis Meseritz/ Birnbaum sein Engagement für Aussöhnung und Verständigung, für eine dauerhafte, stabile Freundschaft mit Polen jetzt nicht beenden, das sind wir dem Verstorbenen schuldig.
Am 23. September ist das Führungsgremium des Heimatkreises Meseritz zusammen gekommen und hat einen neuen Vorstand und einen neuen Beirat gewählt. Trotz der zu Beginn vorgetragenen Unzulänglichkeiten meiner Person in Hinblick auf den Begriff „Heimat“ wurde ich zum neuen Vorsitzenden gewählt.
Ich darf mich Ihnen also an dieser Stelle als Nachfolger von Leonhard v. Kalckreuth vorstellen. Dabei bin ich mir bewusst, welch unermesslich schweres Erbe ich antrete! Lediglich mein Pflichtgefühl hat mich diese Aufgabe übernehmen lassen, nicht die Überzeugung, für diese Funktion besonders prädestiniert zu sein.

Immerhin hat der Heimatkreis mit Joachim Gladisch jetzt einen stellvertretenden Vorsitzenden erhalten, der den überwiegenden Teil seiner Jugend in Scharzig verbracht hat, bis seine Eltern mit der Familie in den 70-er Jahren nach Deutschland übersiedelten.
Mit Frau Thea Schmidt ist die Redaktion des Heimatgrußes auch wieder im Vorstand vertreten. Frau Wanda Gladisch ist in Stalun aufgewachsen und arbeitet ab jetzt ebenso im Beirat mit wie die Herren Dr. Wolfgang Kessler und Dr. Martin Sprungala.

Gemeinsam werden wir das Engagement und die Arbeit des Heimatkreises im Geiste und entsprechend den Vorstellungen von Leonhard v. Kalckreuth fortsetzen, solange die ständig sinkende Zahl der Vereinsmitglieder dies erlaubt.
Als Zeichen der Ernsthaftigkeit dieses Versprechens haben Vorstand und Beirat auf ihrer ersten Sitzung ohne Leonhard einstimmig beschlossen, die drei noch auf der Wewelsburg eingelagerten Modelle der Kirchen von Obergörzig, Klastawe und Meseritz wie das bereits seit 2010 hier in diesen Räumen ausgestellte Stadtmodell Herrn Kirmiel und dem Museum Meseritz als Dauerleihgabe anzuvertrauen. Ich hoffe, diese Geste erfreut unsere polnischen Freunde.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.