wappen posenDie Stadt und Gutsherrschaft
Zirke (Sieraków)

von Dr. Martin Sprungala

Das Gebiet um Zirke ist seit alters her menschliches Siedlungsgebiet. Die ältesten archäologischen Funde, Gräber im Tal der Warthe, stammen aus dem Neolithikum, der jüngeren Steinzeit (4500-1800 v. Chr.). Steinwerkzeuge deuten auf eine noch wesentlich ältere menschliche Besiedlung hin. Auch Spuren aus römischer Zeit fanden Archäologen hier. Die älteste urkundliche Erwähnung aus dem Jahr 1251 (19.11.) soll eine mittelalterliche Fälschung sein. Damals wurde hier eine Fährstelle mit einer Befestigungsanlage an der Handelsstrasse Posen – Stettin gelegen haben. Gesichert sind die Nennungen der Stadt seit dem 15. Jahrhundert. Im Jahr 1388 soll der Ort durch König Kazimierz III. den Grossen (1310-1370, 1333 Kg.) zur Stadt erhoben worden sein. Am 24.6.1416 erneuerte König Wladyslaw II. Jagiello das Magdeburger Stadtrecht. In alten Urkunden erscheinen zahlreiche verschiedene Schreibweisen wie Syracovo, Szirakowo, Siracovo, Syracowo oder Sirakow. Slawisten gehen davon aus, dass sich der Name des Ortes von einem Personennamen ableitet, von einem „Sirak“ oder „Sieraka“, dem mutmasslichen Gründer des Ortes.

Die Górka und Rokossowski
Zirke war ein adeliger Besitz, verbunden mit einer Gutsherrschaft. Im Mittelalter war der Ort im Besitz der grossen Adelssippe der Nalecz. Zur Zeit der zweiten Stadtgründung war Dobrogost Sierakowski h. Nalecz († 1435) Besitzer von Zirke. Von ihm erbten seine Söhne Jan, Wincenty und Jakub das Gut. 1450 erwarb der Posener Wojewode Lukasz (I) Górka h. Lodzia († 1475) die Stadt. Ihm folgte sein Sohn Uriel Górka h. Lodzia (ca.1435-1498), der Posener Bischof und Kanzler der Krone, als Eigentümer nach, danach dessen Neffe Lukasz (II) Górka h. Lodzia (1482- 1542). Uriel liess in Zirke ein Krankenhaus und eine Kirche erbauen und unter Lukasz bestätigte König Zygmunt I. Stary am 24.5.1513 das Stadtrecht für Zirke. Aus der Zeit der Górka hat sich das Statut der Schmiedezunft vom 4.5.1560 erhalten. Die Górka waren im 16. Jahrhundert die mächtigste Familie in Grosspolen und versahen die wichtigsten Ämter in der Wojewodschaft. Lukasz Sohn Andrzej Górka h. Lodzia (1500- 1551) war Generalstarost von Grosspolen. Der letzte Besitzer von Zirke aus dieser Familie war dessen Sohn Stanislaw Górka h. Lodzia (1538-92), mit dem die Familie im Mannesstamm ausstarb. Er verkaufte Zirke im Jahr 1571 an den Kronschatzmeister von Polen und Starosten von Schildberg (Ostrzeszów), Jakub Rokossowski h. Glaubicz (1524-1580). Die Familie war nur zwanzig Jahre lang im Besitz von Zirke. Bereits 1591 verkaufte Jan Rokossowski die Gutsherrschaft mit ihren 14 Dörfern für 60 000 Gulden an Jan Opalinski h. Lodzia (1546-1598). .

Die Opalinski und Leszczynski
Mit dem Erwerb der Gutsherrschaft Zirke begann der Aufstieg dieses Zweiges der Familie, die sich nach ihrem Gut auch zeitweise Sierakowski nannte. Der Sohn und Erbe von Zirke, Piotr Opalinski h. Lodzia (1586-1624), errang 1622 das wichtige Amt des Wojewoden von Posen. Er siedelte in Zirke ein Bernhardinerkloster an und gestattete die Niederlassung böhmischer Brüder, die ebenfalls im Kreis Lissa (Leszno) ansässig waren, wo er die Herrschaft Luschwitz (Wloszakowice, Kr. Fraustadt) besass. Der Bischof der Böhmischen Gemeinde in Lissa, Jan Amos Comenius, erhielt von einem seiner Nachfolger die Erlaubnis zur Gründung eines Gymnasiums in Zirke. Durch den damals blühenden Handel profitierte auch die Stadt.
Nach dem frühen Tod Piotrs erbten seine Söhne Krzysztof und Lukasz Opalinski Zirke. Ersterer verkaufte schliesslich an seinen Bruder und lebte in Luschwitz. Lukasz war in der Politik Polens ein wichtiger Mann und lebte zeitweise am königlichen Hof. Ebenso wie sein Bruder war er sehr gebildet und literarisch tätig. Als 1655 der Kleine Nordische Krieg ausbrach, der in der polnischen Historiographie zur „schwedischen Sintflut“ wurde, stand er als einer der ganz wenigen grosspolnischen Magnaten treu zum König und lief nicht zum Schwedenkönig über. Ein Beleg für diese Treue ist der Besuch des Königs Jan II. Kazimierz und seine Frau in Zirke am 7.6.1658.
Nachfolger Lukasz in Zirke wurde sein Neffe Karol Opalinski h. Lodzia (1642-1695). Durch die Heirat seiner Tochter mit dem späteren König Stanislaw Leszczynski gehörte auch die Herrschaft Zirke zum Besitz dieses grosspolnischen Magnaten. Die französische Königin Maria Leszczynska war die letzte Besitzerin der Stadt aus dieser Familie. Die Blütezeit der Stadt endete abrupt durch die Pest von 1709/10. Ein grosser Teil der Bevölkerung floh und kehrte nicht wieder zurück. Der Grosse Nordische Krieg (1700-1721) tat ein weiteres, damit Zirke wirtschaftlich darnieder lag.



Minister Brühl und sein Nachfolger
1752 verkaufte die Erbin, die französische Königin Maria Leszczynska die Herrschaft Zirke für 1 Million Zloty an den Minister von König August III. Sas (1696-1763, Kg. 1733), Heinrich Graf v. Brühl (1700-1763). Der sächsische Premierminister kümmerte sich wenig um Zirke und überliess die Verwaltung dem Major Józef Jerowski. In dieser Zeit siedelten sich evangelische Glaubensflüchtlinge in der Stadt an und begründeten eine eigene Kirchengemeinde. Nach Brühls Tod erwarb der sächsische Oberberghauptmann Peter Nikolaus Neugarten Freiherr v. Gartenberg (1714-1786) die Herrschaft Zirke. Geboren wurde der Spross dänischer Pfarrersfamilien als Peter Niels Nyegaard im dänischen Kregome bei Frederiksvaerk. Er machte Karriere im sächsischen Bergbau und war ein enger Vertrauer Brühls. Nach dessen Tod wurde er gestürzt und verhaftet.
Nach seiner Freilassung begab er sich nach Warschau und übernahm dort die Leitung der staatlichen Münze. 1767 erlangte er den Titel eines Wirklichen Geheimen Rats, 1768 die Erhebung in den Freiherrenstand als Baron von Gartenberg-Sadogursky bzw. Sadogórski – im Jahr 1753 war er bereits nobilitiert worden. Seit 1768 besass er die polnische Staatsangehörigkeit. In Sachsen hinterliess er seiner Tochter nichts als Schulden. Er selbst zog sich 1774 auf sein Gut Zirke zurück, wo er seinen Lebensabend verbrachte.
In jener Zeit tobten in Polen zahlreiche Kriege und Gefechte. Die Stadt wurde durch Russen, Preussen und polnische Konföderierte mehrfach besetzt und beraubt. Durch die Unachtsamkeit der Russen brannte die Stadt im März 1770 nieder. Dabei wurden 120 Häuser vernichtet. Nur mit Mühe gelang es den Bürgern, die Stadt wieder aufzubauen. Zum Ende der polnischen Adelsrepublik lebten hier 1.206 Einwohner, darunter 252 Juden. Die 139 Häuser der Stadt waren grösstenteils aus Holz gebaut.

Die Bninski
Nach dem Tod des Freiherrn v. Gartenberg- Sadogórski erwarb Lukasz Bninski h. Lodzia (1738-1818) die Gutsherrschaft. Die Bninski waren entfernte Verwandte der Opalinski, deren Zweige sich um 1500 getrennt hatten. Er wurde der letzte Starost von Bomst (Babimost). Bninski war bemüht die Probleme der Stadt zu lösen und überliess seiner Frau Józefa Swiniarska die Verwaltung. Bereits wenige Jahre nach dem Erwerb von Zirke wurde Grosspolen durch die 2. Teilung Polens Teil Preussens. Nur in zwei Städten stiessen die Preussen auf geringen militärischen Widerstand gegen die Einnahme der Orte: in Zirke und in Unruhstadt (Kargowa, Kr. Bomst).
Im Jahr 1801 verkauft Lukasz die Güter an seinen Bruder Ignacy Bninski h. Lodzia (1743-1804), den letzten Starosten von Schrimm (Srem). Nach dessen baldigem Tod erbte sein Sohn Aleksander Bninski h. Lodzia (1783-1831) Zirke. Der geplante Aufschwung der Stadt fand in jener Zeit erhebliche Rückschläge. 1817 wurde Zirke bei einem Stadtbrand fast vollständig zerstört.

Deutsche Eigentümer: Gründung des Gestüts Zirke
Die wertlos gewordene Stadt verkaufte Aleksander daraufhin am 5.10.1818 an Friedrich Heinrich Ernst v. Kottwitz. In jener Zeit steckte die Gutswirtschaft in einer grossen Krise. Viele Güter wechselten damals den Besitzer, da die Preise auf dem europäischen Markt stark gesunken waren und die Bewirtschaftung der Güter oft sehr rückständig war und der Adel sie nur als Kapitalquelle für ihren Lebensstil nutzten. Im Jahr 1827 verkaufte v. Kottwitz das Gut an die Allgemeine Witwenverpflegungsanstalt in Berlin.
Bereits im Juli 1829 wurde hier ein Gestüt eingerichtet – die offizielle Einweihung fand bereits am 8.9.1828 statt. Bereits im Jahr 1836 umfasste die Herde schon 120 Hengste verschiedener Rassen. Im Jahre 1832 brach im Gefolge des polnischen Aufstands im Königreich Polen (Kongresspolen) auch im Posener Land die Cholera aus. Auch Zirke war betroffen. Hier starben 40 Menschen.
Trotz dieser Rückschläge stieg die Bevölkerungszahl. Waren es nach dem grossen Brand im Jahr 1817 nur noch 824 Personen, so wuchs die Einwohnerzahl bis 1831 auf 1.826 Einwohner an, bis 1841 auf 2.060 und 1895 auf 2.952 Menschen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden in Zirke zahlreiche Industrieanlagen: zwei Braunkohletagebaue, zwei Ziegeleien, zwei Brennereien, zwei Zigarrenfabriken, eine Brauerei, eine Glashütte und eine Gerberei.
1919 wurde Zirke wieder Bestandteil des neu entstandenen Polen, der 2. Polnischen Republik.




Das königlich-preußische Landgestüt Zirke
EIm 18. und 19. Jahrhundert wurden in Preussen Landgestüte eingerichtet, die die Aufgabe hatten, Pferdezüchtern hochwertige Hengste, sogenannte Landbeschäler, zur Verfügung zu stellen. Hier wurde keine eigene Zucht betrieben, sondern man stellte lediglich Hengste für die Privatzucht zur Verfügung.
In der sogenannten Decksaison befanden sich die Hengste deshalb auch nicht auf dem Landgestüt, sondern in den Deckstationen, damit die Züchter keine weiten Anreisewege hatten. Die Hengste dienten der Qualitätssicherung von landestypischen Rassen, die für die Landwirtschaft, aber auch für die Kavallerie benötigt wurden. Gleichzeitig brachten diese Landgestüte der Staatskasse eine gute finanzielle Einnahme.
Heute haben die Landgestüte diese Rolle weitgehend verloren und dienen grösstenteils dem Pferdesport. Das älteste und bekannteste preussische Landgestüt ist das sogenannte Litauische Landgestüt in Trakehnen (Jasnaja Poljana, Oblast Kaliningrad), das bereits 1731 als königliche Pferdezuchtstation entstand und 1779 zum Landgestüt wurde. Später entstanden in Ostpreussen noch die Gestüte in Insterburg (Tschernjachowsk, Oblast Kaliningrad) und Gudwallen (einst Kr. Angerapp).
Nach der 1. Teilung Polens entstand 1777 das Westpreussische Landgestüt Marienwerder (Kwidzyn), mit einer späteren Filiale in Preussisch Stargard. Im benachbarten Schlesien wurde 1817 in Leubus (Lubiaz) ein solches Gestüt errichtet – mit einer späteren Filiale in Kosel, in Pommern eines in Labes (Lobez, Kr. Regenwalde).
Auch die anderen preussischen Provinzen besassen ihre Landgestüte: Brandenburg in Neustadt a. d. Dosse (seit 1788), Sachsen in Repitz bei Torgau, später in Halle-Kreuz, und die jüngere Provinzen Hannover in Celle, Schleswig- Holstein in Plön (später in Traventhal), Westfalen in Warendorf, Hessen in Dillenburg und das Rheinland in Wickrath. Ostpreussen erhielt in Rastenburg und Braunsberg in der Kaiserzeit ein eigenes Landesgestüt.
Das Posensche Landgestüt wurde im Jahr 1829 eingerichtet. Am 8.9.1828 weihte der preussische Oberstallmeister v. Knobelsdorff das Gestüt ein. Die Stadt Zirke (Sieraków, Kr. Birnbaum) befand sich über lange Jahre im Besitz der grosspolnischen Magnatenfamilie Opalinski h. Lodzia.
Die letzte Eigentümerin war die französische Königin Maria Leszczynska, Tochter des polnischen Königs Stanislaw I. Leszczynski und der Katarzyna Opalinska aus Luschwitz (Wloszakowice, Kr. Fraustadt). Nachdem der Polnische Erbfolgekrieg nach dem Tod August II. des Starken entschieden war, verkauften die Leszczynski ihre Besitzungen in Polen an König August III. Sas übertrug dem Grafen Brühl die Güter in Zirke.
1823 gingen diese Ländereien in den Besitz des preussischen Königs über. Aus vielen der umliegenden Gestüte stammte der erste Bestand der Deckhengste, u.a. aus Brandenburg und aus Marienwerder, darunter viele Trakehner, aber auch die robuste Posener Rasse. Auch mit dem Ausbau der vorhandenen Stallungen und Gebäude wurde begonnen. Posener Landstallmeister war der Major a. D. von dem Brincken. Er war verheiratet mit einer Tochter des Staatsministers v. Motz und in den Jahren 1834-48 Landrat des Kreises Birnbaum (Miedzychód).




Anfangs wurden vor allem Kaltblüter gezüchtet, die man nach 1866 vor allem aus Frankreich und Belgien importiert hatte. Seit 1875 kamen die ersten Hannoveraner und Oldenburger hinzu, später auch Araberhengste. In den 1880er Jahren erreichte die Herde die stattliche Zahl von 230 Pferden. Um 1900 entwickelte sich auch in Zirke bereits die Zucht für den Pferdesport. In Gnesen wurde eine Aussenstelle des Gestüts errichtet. Aus der Kaiserzeit liessen sich noch die Namen der drei letzten Direktors des Landgestüts in Zirke ermitteln. Der Rittmeister und Kriegsheld von 1870/71, Hans v. Nathusius (1841-1903), entstammte der Provinz Posen. Sein Vater war der preussische Landwirtschaftsminister Hermann v. Nathusius (1809-1879). Sein Bruder Gottlob v. Nathusius besass das Rittergut in Orlowo (Orlowo, Kr. Obornik) und war 1877-90 Landrat des Kreises Obornik, 1889 dessen Abgeordneter im Preussischen Abgeordnetenhaus und kandidierte vergeblich für die Reichspartei für den Reichstag. 1890-97 war er Polizeipräsident in Posen.
Sein Grossneffe war der bekannte Pferdezucht- Wissenschaftler Prof. Dr. Simon v. Nathusius (1865-1913) aus Halle/ S. Im Jahr 1896 wurde er zum Hessisch-Nassauischen Landgestüt in Dillenburg versetzt. Sein Nachfolger wurde der Reserveoffizier, der spätere Rittmeister d. R., Werner Freiherr v. Senden (1865-1945).
1894 war er aus dem aktiven Dienst ausgeschieden und übernahm am 15.11.1894 kommissarisch die Leitung des Westpreussischen Landgestüts zu Marienwerder. Er erhöhte in seiner Amtszeit die Anzahl der Hengste von 180 auf 240. Er hatte mehr als 87 Mitarbeiter, vor allem polnische Pferdeknechte. Zum 1.5.1912 wurde er als Landstallmeister und Hauptgestüt-Dirigent des brandenburgischen Friedrich-Wilhelm- Gestüts nach Neustadt a. d. Dosse versetzt. Hierhin brachte 1919 auch sein langjähriger Mitarbeiter, der Sattelmeister Wilhelm Gnittke (1874-1953), den Zirker Pferdebestand, den er widerrechtlich von hier nach Brandenburg geschaft hatte, damit er nicht in die Hände der neuen polnischen Regierung in Posen fiel.

Der letzte deutsche Leiter des Landgestüts Zirke, von 1912-18, war Meinhard Graf v. Lehndorff, der nach dem Ausbruch des Grosspolnischen Aufstands 1919 das Landgestüt Marienwerder übernahm

Literatur:
* Wilhelm Gnittke, Meine Erlebnisse in der früheren deutschen Provinz Posen,
Heimatgruss Meseritz, Nr.167, Troisdorf 2003, S. 30 ff.

* Friedrich Freiherr v. Senden, Geschichte der Freiherren
von Senden und Freiherrn Schuler von Senden, Berlin 2009