Tirschtiegel 1920 – ein Stimmungsbild
von Albrecht Fischer von Mollard, Abb: mit freundl. Genehmigung des Besitzers

Im HGr 227/Dezember 2018 hatte ich unter dem Titel „Post aus Tirschtiegel“ über interessante, im Internet geangelte Dokumente aus der Heimatregion berichtet. Jetzt ist mir erneut ein zumindest mich bewegender Heimatbeleg ins Netz gegangen, den ich den HGr-Lesern vorstellen möchte.

Es handelt sich um eine einfache handgeschriebene Postkarte ohne Fotomotiv, die aber in mehrfacher Hinsicht beachtenswert ist, allein schon, weil sie eine erstaunlich lange Reise hinter sich hat, denn mir wurde sie doch tatsächlich von einem Briefmarkenhändler aus Singapur zugeschickt, was ja nicht ganz alltäglich ist.

Der Text der Postkarte ist eigentlich belanglos; im Prinzip geht es lediglich um die Übermittlung von Grüssen eines Elternpaares an seinen Sohn zum damals bevorstehenden Osterfest. Was die Postkarte für mich so denkwürdig macht, ist das Jahr, in dem sie geschrieben wurde.
Adressiert an einen Herrn Dr. G. Andrae in Brome im heutigen Kreis Gifhorn trägt sie das Datum 29. März 1920. Somit wurde sie nur wenige Wochen nach Inkrafttreten der Bestimmungen des Vertrages von Versailles (10. Januar 1920) verfasst und lässt die damalige Gefühlslage und große Unsicherheit der Bevölkerung in Tirschtiegel, aber sicher auch im ganzen Kreis Meseritz recht gut erkennen – ein geschichtliches Dokument seiner Zeit:






Ihr Lieben!
Wir wollen nicht unterlassen, Euch recht gesunde & zufriedene Feiertage zu wünschen.
Hier geht es recht ruhig zu & hören wir von den schicksalsschweren Umwälzungen in unserem Vaterlande nur ab und zu, da Zeitungen schon seit 14 Tagen nicht mehr nach hier kommen.
Was soll aus dem Tohuwabohu eigentlich werden, sind wir noch nicht genügend herunter gekommen? Wir fürchten, wenn es so weiter geht, daß uns die Polen noch verzehren werden, die brauchen ja für Revanche keine Sorge haben, wir sind ja mit allem zufrieden!!
Herzlichste Grüsse für Euch Drei von uns allen, insbesondere von Euren treuen Eltern. R. 29/3.20.