Heimat-Kurzbiografie
von Franz Marowski (Text u. Fotos)


Im Heimatgruß Nr. 241 wurde auf S. 5 über das Projekt „Ortsbuch für den Kreis Meseritz in den Grenzen von 1914“ berichtet, dessen Erstellung Heimatfreund Franz Marowski aus Berlin durch großzügige Förderung ermöglicht hat. In die zum Projektende vorgesehene Druckausgabe des Werkes mit insgesamt mehr als 200 einzelnen Artikeln soll auch eine Kurzbiografie des Sponsors aufgenommen werden.
Bei der erbetenen Zusammenstellung seiner biografischen Basisdaten sind dem heimatverbundenen Autor jedoch so viele Kindheits- und Jugenderinnerungen aus der Feder geflossen, die einerseits für den vorgesehenen Zweck einer Vorstellung des Förderers des Ortsbuches zu ausführlich wären, andererseits aber viel zu wertvoll sind, um sie nicht der Nachwelt zu bewahren. Aus diesem Grund präsentiert die Redaktion ihren Lesern nachfolgend die nahezu ungekürzte Fassung seiner Lebenserinnerungen, deren Titel der Autor selbst gewählt hat.



Heimat-Kurzbiografie – Franz Marowski Die ersten zehn Jahre meines Lebens habe ich in meiner alten Heimat gelebt. Geboren wurde ich am 29. Januar 1935 in Punken auf dem Bauernhof meines Großvaters Franz Marowski, der leider früh einem Schlaganfall erlag.

Da auf Grund des Versailler Vertrages nach dem verlorenen 1. Weltkrieg deutsche Landwirte in Punken keine Bauernhöfe mehr betreiben durften, heiratete meine Tante Agnes mit Einverständnis der Familie den polnischen Landarbeiter Konrad Semklo, der die Hofbewirtschaftung übernahm. Leider war ihm kein Erfolg beschieden.
Meine Mutter heiratete 1938 den Maurer Linus Meißner aus Rybojadl. Sie zogen mit mir nach Tirschtiegel und wohnten in einer Zwei-Zimmer- Mietwohnung am Markt in der Neustadt. Sie erklärte mir, dass Linus mein Vater wäre. Früh aufkommende Zweifel konnte ich nicht klären, da meine Mutter früh verstarb. Auch spätere intensive Nachforschung führte zu keiner Erklärung. Papa Linus war für mich ein liebevoller und fürsorglicher Vater. Er wurde früh eingezogen und war seit Kriegsbeginn hauptsächlich an der Front in Russland im Einsatz. In unserer Familie war er nur kurze Zeit auf Fronturlaub.
Mein Bruder Werner wurde im März 1939 geboren, Bruder Gert im Dezember 1943 und lernte seinen Vater nicht kennen, der im September des gleichen Jahres gefallen war.
Meine Mutter hatte als junge Witwe mit drei Söhnen Mühe, den Lebensunterhalt für die Familie zu bestreiten. Sie arbeitete in der Weidenwirtschaft als Weidenschneiderin und Korbflechterin. Sie nahm auch viele Gelegenheitsarbeiten wahr.
Sie war als begabte Schneiderin für die Familie tätig. Auch für Verwandte und Bekannte nähte sie viele Kleider, Röcke und andere Kleidungsstücke. Bereits vor der Einschulung hatte ich Aufgaben zu übernehmen, Besorgungen und kleine Einkäufe. Mit wenig Freude musste ich fast täglich für unsere Kaninchen und Hühner Grünfutter sammeln. Außerdem musste ich auf meine beiden Brüder achten.



Heimat-Kurzbiografie – Franz Marowski

Meine Einschulung 1941 war für mich ein freudiges Erlebnis, da ich gern zur Schule gegangen bin. Im ersten Schuljahr habe ich noch die Sütterlin-Schrift gelernt. Meine Zweifel an der geschichtlichen Wahrheit der Sintflut und der Arche Noah blieben im katholischen Religionsunterricht unbeachtet.

Infolge der Bombenangriffe und daraus resultierender Unterrichtsausfälle waren einige Berliner Kinder in Tirschtiegel zur Landverschickung, um versäumten Lehrstoff nachzuholen. Ihnen wurde in den Sommerferien einige Wochen Unterricht erteilt. Wegen der geringen Anzahl bot man einheimischen Kindern an, daran teilzunehmen. Da ich mich mit einer Schülerin aus Berlin gern unterhalten hatte, meldete ich mich zur Teilnahme am Unterricht an.
Diese Wochen waren die schönste Schulzeit meines Lebens. Die Lehrer waren freundlich und hilfsbereit. Wir studierten ein Märchenspiel ein, das nach den Ferien in der Aula aufgeführt wurde. Ich durfte Rumpelstilzchen sein.

In unserer Familie herrschte ein großer Zusammenhalt. Wir besuchten uns oft gegenseitig in Betsche, Punken, Rybojadl und Tirschtiegel zu Fuß oder per Fahrrad.
Insbesondere zu Familienfeiern wie Taufen, Hochzeiten und Trauerfällen kamen auch Verwandte aus Berlin und dem Ruhrgebiet. Mein Onkel Bruno, der in Herne im Bergwerk arbeitete, kam von dort mit dem Fahrrad zur Beerdigung seiner Mutter.

Ich erinnere mich besonders gern an den Besuch von zwei Schlachtfesten in Betsche. In der Zeit der Lebensmittelkarten war das Halten, d.h. das Füttern und Schlachten von Schweinen nicht erlaubt, wurde aber geduldet. Den ersten Besuch machte ich zusammen mit meiner Mutter. 1944 ließ sie mich mit meinem Bruder Werner per Bahn allein nach Betsche fahren, da sie ihre Tätigkeit nicht unterbrechen konnte.
Das Schlachtfest war für uns fünf- und neunjährige Brüder auch von der Beköstigung ein tolles Erlebnis. Die freie Zeit in Betsche nutzten wir zum Spielen am Betsche-See. Unterhalb des Hauses meiner Tante Martha Knych spielten wir auf einem Steg am Seeufer. Beim Planschen rutschte Werner aus und fiel ins Wasser. Er wurde rasch abgetrieben. Ich rannte ihm hinterher und bekam ihn am Stegende zu fassen.
Ich habe später oft darüber nachgedacht, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich ihn nicht hätte retten können.

Auf der Heimfahrt nach Tirschtiegel hatten wir auf dem Umsteige-Bahnhof in Birnbaum eine längere Wartezeit. Im Wartesaal packten wir unsere von Martha gut gefüllte Tasche auf einem Tisch aus und betrachteten die Fleischstücke und die Wurst für unsere Familie. Die umstehenden Fahrgäste beobachteten uns teils mit langem Hals. Wir packten unsere Gaben aber unbehelligt wieder ein und hörten später, wie über unser Verhalten gesprochen wurde.

In der Vorweihnachtszeit fand in Tirschtiegel jährlich das Gänsefedern-Spleißen statt. Im Haus der Familie von Joachim Schmidt traf sich eine größere Anzahl von Hausfrauen zum Spleißen der Gänsefedern. In mehreren Räumen waren sie auf Bänken und an Tischen tätig. Mit mehreren anderen Kindern spielte ich zwischen und unter den Tischen. Wir tollten herum und bewarfen uns mit den Federresten. In Erinnerungsgesprächen über die Kindheit mit Joachim Schmidt erfuhr ich, dass er auch an diesen Spielen beteiligt war.

Anfang Januar 1945 näherte sich, erkennbar am Geschützdonner, die Front der Roten Armee. Wir zogen mit insgesamt vier Familien inklusive Familie Meißner aus der Korbmacher-Schule auf den Meißner-Hof in Rybojadl. Das weitere Geschehen inklusive Vertreibung habe ich in meinem Artikel in HGR „Unsere Heimat damals und heute, Vertreibung und Wiedersehen“ Heft Nr. 184, Seite 16-20 beschrieben.

Unsere Mutter verstarb im Oktober 1945 in Letschin an Typhus. Wir drei Vollwaisen kamen zu Verwandten nach Berlin. Gert wurde von Tante Martha, einer Schwester von Papa Linus aufgenommen. Werner und ich kamen zu Onkel Johann Marowski, einem Bruder unserer Mutter. Wir wohnten in einer 1-Zimmer-Wohnung im Bezirk Tiergarten, der zum britischen Sektor (Berlin- West) gehörte.

Aufgrund der körperlichen und geistigen Nachwirkungen meiner schweren Typhus-Erkrankung wurde ich von November 1945 bis Mai 1946 in der Aktion „Storch“ in die Nähe von Osnabrück aufs Land verschickt. Meine Erholung war erfolgreich.
Ich nahm am Unterricht der Klassen 1 bis 4 in einem Klassenraum in einer Dorfschule teil. Auch körperlich war ich wiederhergestellt. Ich half bei der Landarbeit mit und wollte und durfte einen vom Hof entfernten Acker eggen.
Ich spannte den Ackergaul „Alex“ vor den Wagen und fuhr zum Feld. Als wir den größten Teil des Ackers geeggt hatten, sprangen vor Alex mehreren Mäuse auf. Alex scheute heftig und galoppierte mit der Egge davon. Ich ließ die Leinen nicht los, kam zu Fall und wurde mitgeschleift. Alex galoppierte mit der Egge und mir über den Acker, kreuzte einen steinigen Fahrweg und kam erst nach der Querung mehrerer Felder zum Stehen. Ich spannte ihn wieder vor den Wagen und fuhr zum Hof. Mein Erscheinen mit erheblichen Schürfwunden an Ellenbogen und Knien verursachte helle Aufregung. Die folgende Pflege und Fürsorge genoss ich sehr. Nach Ende der Verschickung kehrte ich gesund nach Berlin zurück.

Bei der Wahl einer Schule war Onkel Johann bewusst, dass meine Mutter mir eine höhere Schulbildung ermöglichen wollte. Er stimmte meinem Wunsch zu, und nach bestandener Aufnahmeprüfung war ich Schüler der Menzel-Oberschule. Onkel Johann verwendete das staatliche Waisen- Kindergeld als Schulgeld. Ich war ein eifriger und interessierter Schüler.
Die Lehrerschaft bestand aus wenigen Lehrern aus der Nazizeit und einigen, die frisch ausgebildet von der Uni kamen. Im Unterricht stellte sich bald heraus, dass mir mein Sprechfehler des Stotterns als Folge der Typhus- Erkrankung erhalten geblieben war. Diese psychische Behinderung belastete mich bis ins hohe Alter schwer.

In der Nachkriegszeit litten wir fast ständig unter Hunger. Auch wegen der Blockade pachtete Onkel Johann einen Kleingarten zur Ergänzung der Lebensmittelversorgung. Wir bauten ein etwa 25 qm großes Gartenhaus. Werner und ich mussten mit einem Handwagen zwei Sommer lang Ziegelsteine aus den 5 km entfernten Trümmern in Moabit heranschaffen. In dem fertigen Gartenhaus wohnten wir dann mehrere Sommer lang.


Heimat-Kurzbiografie – Franz Marowski
Onkel Johann war bemüht, uns zu erfolgreichen, jungen Männern zu erziehen. Er drängte auf eine gute Berufsausbildung. Seine Fürsorge umfassten meine Anmeldung zum Klavierunterricht. Mangels eigenem Instrument war der Unterricht nach kurzer Zeit beendet. Er kaufte mir auch ein gewünschtes Fahrrad. Den einzigen Maßanzug meines Lebens ließ er mir schneidern, als ich 15 Jahre alt wurde.
Vermeintliches Fehlverhalten wurde auch mit Schlägen bestraft. Bestrafung schien mir nur einmal berechtigt, als wir Tomaten aus dem Nachbargarten ernteten, weil die Tomaten in unserem Garten gezählt waren.
Nach sieben Jahren trugen die Obstbäume in unserem Kleingarten erste Früchte und wir ernteten reichlich Beerenobst und Gemüse. Diese Entwicklung hätten Onkel Johann und seine Ehefrau Elsa jeden Sommer genießen können. Sie erkrankten jedoch 1956 schwer. Onkel Johann erlitt einen Gehirntumor und verstarb daran nach kurzer Zeit. Nach einem Jahr folgte ihm Tante Elsa mit unbekannter Todesursache. Da Werner und ich bei unseren Pflegeeltern nicht erbberechtigt waren, hatten wir keinen Anspruch auf den Kleingarten.

Die Erben verkauften ihn für DM 1.600. Mein Versuch, beim Kleingartenverband zu erreichen, den Kleingarten übernehmen zu dürfen, war erfolglos. Unter Tränen versuchte ich, den Garten zurückzukaufen. Zwei junge Männer genügten nach den Verbandsvorschriften jedoch nicht für die Vergabe von Kleingärten an Familien. Bei späteren Besichtigungen „unseres“ Gartens erfuhr ich von Nachbarn von Bemühungen, die Familienbestimmungen für die Vergabe zu ändern. Inzwischen hatten viele Großfamilien Kleingärten gepachtet und veranstalteten lautstarke und geruchsintensive Feste.

In der Schule erhielt ich wegen Unsportlichkeit nur die Note ausreichend. Beim Turnen, Ballspielen und in Schnellkraft-Disziplinen erreichte ich nur schwache Leistungen. Lediglich im Ausdauerbereich war ich leistungsfähig und erfolgsorientiert. Da ich weiterhin Leistungssport betreiben wollte, wechselte ich, angeregt durch winterliche Ruderwaldläufe, zum Langstreckenlauf. Ich informierte mich intensiv über erfolgreiche Trainingsmethoden und trat dem BTSV 1850 bei. Meinem Training schlossen sich einige Läufer an.
Bald stellten sich erste Erfolge ein: ich wurde insgesamt viermal Berliner Meister. Nach einem Wechsel zum SCC wurde ich dort 1961 zusammen mit zwei Sportkameraden Deutscher Marathon-Mannschaftmeister. In der Folge konnte ich meine Marathonzeit verbessern und erreichte Platz 7 in der Deutschen Bestenliste.


Heimat-Kurzbiografie – Franz Marowski Dem Wunsch von Onkel Johann nach ordentlichen Berufen kamen wir drei Brüder nach. Gert wurde Postangestellter und ging dann später als Beamter im Innendienst in Pension. Er blieb Junggeselle und hat im hohen Alter eine schwere Nierenerkrankung bekommen.
Werner machte eine Berufsausbildung als Bauund Möbeltischler und verließ Berlin nach kurzer Zeit. Er hatte einige kurze Arbeitsverhältnisse und war dann als technischer Leiter für den Auf- und Abbau einer mobilen Achterbahn tätig. Werner wurde nach einigen Jahren sesshaft und heiratete seine Edith. Sie bekamen einen Sohn und eine Tochter. Werner wurde Leiter eines Auslieferungslagers der Versandfirma Quelle.
Ich selbst lernte nach meiner Schulzeit den Beruf des Industriekaufmanns. Inklusive der Lehrzeit war ich zehn Jahre in der Pharma-Verkaufsabteilung der Firma DIWAG-Chemische Fabriken tätig. Für unsere Produkte warben zwei Pharma- Vertreter. Unsere Kunden waren Großhändler und Krankenhaus-Apotheken. Die Firma DIWAG hatte eine zweite Abteilung, in der Farben und Lacke hergestellt wurden. Dort wurden als eine der ersten Fabriken die neuen Dispersionsfarben entwickelt.

Heimat-Kurzbiografie – Franz MarowskiIn der Farbenabteilung arbeitete meine spätere Frau Hannelore als kaufmännische Angestellte. Meine Tätigkeit bei der Firma DIWAG war angenehm und fand in einem kollegialen Umfeld statt. Mit Blick auf die Zukunft erschien mir diese Beschäftigung aber nicht anspruchsvoll genug bis zum Ende des Arbeitslebens. 1961 suchte die Berliner Kriminalpolizei Nachwuchskräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung. Ein Berufswechsel zur Kripo kam meinen Vorstellungen entgegen. Ich bewarb mich und erhielt eine Stelle als Kriminalanwärter.
Die einjährige Ausbildung war straff und weit gefächert. Ich war danach zunächst im örtlichen Bereich und später in Spezialdienststellen wie Raubdezernat, Mordkommission und Betrugsabteilung tätig. Der Wechsel zur Kripo war eine gute Entscheidung. Ich hatte einen Beruf erlernt, den ich mit vollem Engagement ausübte und bis zur Pensionierung zu betreiben gedachte.
Die 60er Jahre waren für uns turbulent und anstrengend. Neben meinen kraft- und zeitaufwendigen Aktivitäten im Laufsport erfoderte die Ausbildung bei der Kripo viel Einsatz und Lernbereitschaft. Nach fünfjähriger Prüfung entschlossen sich meine Frau und ich zu heiraten. Ich verlor zwar meine Freiheit, gewann aber eine liebevolle Ehefrau. Die Eheschließung fand in der dominikanischen Klosterkirche St. Paulus in Berlin-Moabit statt. Unsere Flitterwochen verbrachten wir auf Mallorca.

Seit wir uns kennen, haben wir das Berliner Kulturangebot zu schätzen und nutzen gelernt, nach dem Bau der Mauer leider eingeschränkt auf West-Berlin. Wir haben Bälle und Tanzabende, Theater und Opernhäuser sowie Museen besucht. Die „Zauberflöte“ von Mozart haben wir mindestens dreimal gehört und gesehen. Die vielen Museumsbesuche wurden gekrönt von der Teilnahme an den Sonderveranstaltungen „Nacht der Museen.“
Von den vielen Theaterbesuchen hat mich einer der ersten besonders beeindruckt. Die Schaubühne am Halleschen Ufer gab das Theaterstück „Der Prinz von Homburg“ von Heinrich von Kleist mit Bruno Ganz, der am Beginn seiner großartigen Karriere und später Träger des Iffland-Rings war. Ich war von der Aufführung beeindruckt, der Ausruf „Nun, oh Unsterblichkeit, bist Du ganz mein“ hat mich noch nächtelang nicht losgelassen.

Der Besuch von Kulturveranstaltungen wurde durch die Schwangerschaft meiner Frau eingeschränkt. Im November 1964 erfüllte sich unser Wunsch durch die Geburt unseres Sohnes Karsten, eine Familie zu sein.


Zu dritt fielen uns die Mängel unserer 1-Zimmer-Altbauwohnung besonders auf. Da wir vergeblich nach einer neuen Mietwohnung suchten, haben wir das Angebot der Firma Gagfah GmbH zum Kauf einer 4-Zimmer- Eigentumswohnung angenommen. Für den Eigenanteil zum Kaufpreis mussten wir unsere gesamten Ersparnisse einsetzen. Deshalb fiel die Ausstattung der neuen Wohnung zunächst spärlich aus. Wir mussten einen Teil unserer alten Möbel mitnehmen. Für kurze Zeit bestand die Wohnzimmer- Möblierung aus einem Tisch und Gartenstühlen.
Unser Sohn hatte jetzt sein eigenes Kinderzimmer, das ich nach und nach ausbaute. Er war sehr neugierig und lernbereit und machte uns viel Freude. Wir meldeten ihn im Kindergarten an, damit er mit anderen Kindern Kontakt haben konnte. Leider nur für kurze Zeit, weil er sich dort nicht wohlfühlte. Fast in der ganzen Vorschulzeit wurde er von seiner Mutter betreut und erzogen. Der anschließende Schulbesuch verlief problemlos. Er lernte leicht und erreichte ein gutes Abiturergebnis.
Mit der zunehmenden Selbständigkeit unseres Sohnes konnte meine Frau wieder berufstätig sein. Nach einigen kurzzeitigen kaufmännischen Tätigkeiten wechselte sie zur Post und war bis zum Renteneintrittsalter im Schalterdienst tätig. Fleiß und Hilfsbereitschaft sind hervorragende Eigenschaften meiner Frau. Ich dagegen engagiere mich für Aufgabenfelder nur voll, wenn ich daran interessiert und dafür begeistert bin. Pflichtaufgaben schiebe ich gern auf die lange Bank wie z. B. die jährliche Einkommensteuerklärung.

Angeregt durch seine erfolgreiche Teilnahme am Waldlauf der Schulen fand Karsten Interesse am Langlaufsport. Ich machte mit ihm abends öfter längere Dauerläufe. Bald gesellten sich einige Schulkameraden zu uns. Das Interesse an Wettkämpfen führte zum Eintritt in die LG Nord Berlin. Die Laufgruppe wuchs und hatte bald sechs ständige Mitglieder. Dazu kamen etwa zehn Gastläufer, die das Gruppentraining und meine Trainingsmethode nutzen wollten.
Bald stellten sich Erfolge ein. Die Läufer meiner Gruppe gewannen viele Wettkämpfe und erzielten gute Zeiten. Beim Rotterdam-Marathon 1985 lief Karsten mit 2:17:01 Stunden Deutschen Juniorenrekord. Ich machte vier meiner Schützlinge zu Deutschen Jugendmeistern. Innerhalb von acht Jahren errangen Läufer meiner Gruppe über 70 Berliner Meistertitel. Die Erfolge meiner Athleten bedeuteten mir mehr, als meine eigenen.

Meine berufliche Tätigkeit als Kriminalbeamter erfuhr überraschend eine entscheidende Änderung. Die Berliner Kriminalpolizei plante die Computertechnik für den allgemeinen alltäglichen Geschäftsbetrieb zu nutzen. 1970 wurde eine Arbeitsgruppe von acht Beamten gebildet, zu der ich nach einigen Tests auch gehörte. Wir absolvierten viele Lehrgänge, lernten mehrere Programmiersprachen und Möglichkeiten der Computernutzung kennen. Wir erlernten praktisch einen neuen Beruf. Mit Hilfe von Beratern der beteiligten Firmen für Hard- und Software (Siemens) sowie Datenendgeräte (Nixdorf) haben wir nach über zwei Jahren das ISVB (Informationssystem für Verbrechensbekämpfung) entwickelt und eingeführt. Diese erste Ausbaustufe wurde in den Folgejahren ergänzt und ausgebaut.
In dieser Zeit absolvierte ich ein Studium an der Polizeiführungsakademie in Münster-Hiltrup. Danach war ich als Gruppenleiter der Verfahrensplanung tätig. In meiner Polizeilaufbahn durchlief ich vom Kriminalanwärter bis zum Kriminaloberrat zehn Dienstgrad und Besoldungsstufen.

Ich kann mich nicht erinnern, dass unsere Familie in der Heimat außer der Bibel, dem Gebet und Gesangbuch Bücher besaß. Ich dagegen hatte ein Faible für Bücher. Als eines der ersten kaufte ich mir einen Ratgeber zum Aufbau einer Bibliothek. Mit Erstaunen erfuhr ich, was die Weltliteratur an Epik, Lyrik und Dramatik zu bieten hat. Soweit ich mir das leisten konnte, habe ich begonnen, eine Büchersammlung aufzubauen. Meine Neigung zu Lexika führte z. B. zum Erwerb des Großen Meyers-Lexikon, Kindlers Literatur- Lexikon und Propyläen-Weltgeschichte.
Meine Buchsammlung umfasste schließlich über achthundert Bände. In Zeiten von Internet und Bookreader ist der Aufbau einer Büchersammlung heute nicht mehr in. Infolge meiner Augenerkrankung kann ich meine Bücher kaum noch nutzen.

In meiner Freizeit habe ich gern Rätsel geraten. Als Schüler habe ich ein Rätselheft mit eigenen Rätseln erstellt. Nach zwei Heften stellte ich das wenig durchdachte Projekt mangels Kopiermöglichkeiten wieder ein. Neben Kreuzworträtseln habe ich viele Rätselarten ausprobiert. Bevorzugt habe ich Denksportaufgaben und Logicals. Als das japanische Sudoku in Europa bekannt wurde, habe ich mich mit Eifer die Lösungen gesucht. Sudoku sollte man nach Zeit lösen, um Vergleiche mit sich selbst und anderen zu haben.

Ich habe viele Spiele kennengelernt und zunächst einige in der Familie gespielt, wie z. B. Mensch-ärgere-dich-nicht, Memory oder Monopoly. Von den Kartenspielen habe ich überwiegend Skat bevorzugt. Im Ruderverein habe ich mit drei Sportkameraden über zwanzig Stunden Skat gespielt. Von den Brettspielen habe ich mich lange Zeit mit Schach beschäftigt. Mit Hilfe von Schachbüchern habe ich Meisterpartien nachgespielt und Eröffnungs-Theorien studiert. Insbesondere habe ich mich mit der Damen-Gambit-Eröffnung beschäftigt. Für den Zeitaufwand war der Nutzen gering.
Als ich das japanische Go-Spiel kennengelernt hatte, zog ich es dem Schachspiel vor. Es hat einfachere Grundregeln, kann auf verschieden großen Brettern gespielt werden. Unterschiedliche Spielstärken werden durch Steinvorgaben ausgeglichen.
Ich habe auch an zwei Großveranstaltungen teilgenommen. Die Aktion „Tag der offenen Tür“ 1958 in Berlin endete mit der Schlussveranstaltung vor 100.000 Zuschauern im Olympia-Stadion. Neben einigen musikalischen und akrobatischen Vorführungen wurde unter der Leitung des Moderators Hans Rosenthal ein Quiz-Wettbewerb durchgeführt. Ich war einer der ausgewählten zehn Teilnehmer. Die Teilnehmer wurden kurz vorgestellt. Hans Rosenthal stellte mir die Frage, welches Land nach meiner Meinung bei der kurz darauf stattfindenden Weltmeisterschaft in Schweden den Titel gewinnen würde.
Meine Antwort „Brasilien“ wurde mit einem riesigen Pfeifkonzert beantwortet. Bei dem Quiz waren nach wenigen Fragen nur noch eine ältere Dame und ich im Wettbewerb. Da ich eine Frage inhaltlich missverstanden hatte, wurde die Antwort als falsch bewertet. Die ältere Dame sollte dann drei Bezirke aus Ostberlin nennen. Ihr fiel nur der Bezirk Mitte ein. Kurz darauf tönten aus den Zuschauerblöcken Pankow und Köpenick. Hans Rosenthal konnte oder wollte nicht eingreifen, und so wurde das Quiz um eine Europa-Reise und 1000 DM entschieden.

1971 nahm ich an der TV-Livesendung „Gesundheitsmagazin Praxis“ des ZDF teil. Die ZDF-Zuschauer waren vorher aufgefordert worden, sechs gymnastische Übungen nach Zeit auszuführen und die erreichten Punktzahlen dem Sender mitzuteilen. Zu der Live-Veranstaltung im Schloss Ludwigsburg wurden die zehn Zuschauer mit den höchsten Punktzahlen eingeladen. Nach Kontroll-Tests kamen sechs Teilnehmer in die Wertung, die besten drei führten drei Übungen in der Live-Sendung auf der Bühne aus mit je einem Betreuer.
Meine Betreuerin war Elisabeth Schwarzhaupt, die erste Bundesministerin unter Adenauer. Als erste Übung musste man eine Socke oder ein Taschentuch mit den Zehen vom Boden in Kniehöhe aufheben; jeder Fuß 30 Sekunden. Bei den Übungen auf der Bühne wurden uns jedoch Frottee-Handtücher hingelegt. Damit war der Wettbewerb praktisch schon entschieden. Sieger wurde ein Bademeister mit großen, aber sehr gelenkigen Füßen. Er schaffte eine wesentlich höhere Punktzahl als die beiden anderen.
Das Schönste der Veranstaltung war die anschließende Schlussfeier für die Teilnehmer. Wir saßen an festlich gedeckten Tischen und unterhielten uns bis spät in die Nacht. Neben mir saß Mary Roos, die mir zu Beginn ihrer großen Karriere sehr schüchtern und zurückhaltend vorkam. Mir gegenüber saß Luis Trenker, der für reichlich Gesprächsstoff sorgte, aber auch auf Fragen einging.

Unsere Reiseaktivitäten waren insbesondere aus finanziellen Gründen eingeschränkt. Meinen ersten PKW, ein VW Käfer, konnte ich mir mit 36 Jahren 1971 kaufen. in den ersten Jahren fuhren wir mit Karsten in naturnahe Urlaubsgebiete wie Bauernhof, Bayerischer Wald, Ost- und Nordseeküste.
In Karstens Jugendalter habe ich mit ihm zwei Wandertouren unternommen. Unsere Rucksack- Wanderung machten wir im Odenwald-Gebiet mit Heidelberg und einer Neckar-Flußfahrt auf einem Frachtschiff. Unsere zweite Tour war eine Radtour im Weserbergland von Hann.Münden nach Minden.

Mit meiner Frau habe ich oft zwei Reisen jährlich unternommen. Im Frühjahr sind wir meist ins Mittelmeergebiet, an die Algarve oder auf die Kanaren gereist. Meinen 70. Geburtstag habe ich auf einer Nilkreuzfahrt gefeiert. Im Sommer und Herbst haben wir Deutschland und Nachbarländer wie Frankreich, Dänemark, Polen und Tschechien bereist. Meinen 80. Geburtstag habe ich bei einer Badekur in Franzensbad gefeiert. Nach dem Jahr 2000 haben wir überwiegend Reisen in meine alte Heimat gemacht.

Nach der Beendigung des intensiven Laufsports bekam ich Probleme mit dem Körpergewicht. Ich hätte die Kalorienzufuhr, insbesondere bei Kohlenhydraten, stark einschränken müssen. Das hatte ich versäumt und dadurch über 20 kg zugenommen. Durch konsequente Einschränkung der Nahrungsaufnahme konnte ich mein Gewicht später wieder reduzieren. Seit 2016 verzichte ich auf Frühstück und habe damit die Diät 16:8 vorweggenommen. Seitdem habe ich mein Wunschgewicht.
Ich koche gern selbst, vor allem Speisen, die meine Frau nicht mag oder nicht isst. Soweit ich mich an meine Kindheit erinnere, koche ich gern Gerichte aus meiner Heimat, z. B. saure Suppe und Mohnpielen.

Mit zunehmender Verantwortung sowohl im beruflichen als auch im privaten Bereich, hat mich mein Sprechproblem wieder eingeholt. Ich musste häufig Reden und Vorträge halten, sowie Diskussionen leiten. Diese Belastung versuchte ich, mit Alkohol zu bekämpfen. Der Alkoholgenuß hatte jedoch eher negative Auswirkungen auf Umwelt und Familienzusammenleben. Mit zunehmendem Wegfall der entsprechenden Verpflichtungen bekam ich das Problem in den Griff. Seit fünf Jahren bin ich praktisch abstinent. Letztes Sylvester haben wir mit Orangensaft angestoßen.

Das Interesse für meine Heimat dokumentierte sich bis zur Pensionierung überwiegend in Gesprächen mit Verwandten und Bekannten sowie in der Nutzung von Presse, Büchern, Fernsehsendungen und Internet. Die intensive Beschäftigung mit Heimatthemen begann 1999 mit dem Besuch des Tirschtiegel-Treffens in Lautenthal/ Harz zusammen mit meinem Bruder Werner.
Neben den Besuchen der Heimattreffen in Paderborn und Perleberg sowie den Lautenthaler Tirschtiegel-Treffen haben meine Frau und ich regelmäßig an den Weihnachtsfeiern im Ratskeller Berlin-Charlottenburg teilgenommen. Dabei habe ich einige Heimatfreunde wiedergesehen und viele neue kennengelernt wie z. B. Brunfriede Fischer von Mollard, Gretel Lehmann, das Ehepaar Joachim und Thea Schmidt, Kurt Schiller und Kurt Morell.
Das Wiedersehen in Lautenthal mit Josef Graczynski, meinem Heimatfreund aus der Hirtenstraße in Tirschtiegel ließen den durch die Berliner Mauer unterbrochenen Kontakt wieder aufleben. Josef war 1953 als Betonbauer im Straßenbau tätig. Er wurde einer der Anführer im Volksaufstand am 17. Juni 1953 (siehe: Der Aufstand von Guido Knopp, Hoffmann und Campe-Verlag, Hamburg 2003).
Bei den Treffen habe ich viele informative Gespräche geführt und mit den Heimatfreunden gesellige Abende erlebt. Meine Besuche der Heimat begannen mit einer Busfahrt, organisiert von Kurt Schiller. Es folgte eine Vielzahl von Individual- Reisen und zwei Busfahrten mit Herybert Schulz.

Mit Bruder Werner habe ich mehrere Jahre unsere Heimat besucht. Eine besondere Fahrt machten wir zur Errichtung des Kreuzes an der Gedenkstätte auf dem ehemaligen evangelischen Friedhof in Tirschtiegel. Mit unseren Frauen haben wir zwei Urlaubswochen bei Hubert Golek in Naßlettel verbracht. Die Fahrten mit Werner fanden jedoch bald darauf ein Ende, weil er schwer erkrankte und 2008 an einem Gehirntumor verstarb. Danach bin ich mit meiner Frau mehrfach in die Heimat gefahren. Mit Helmut Kahl und Wojcieck Derwich habe ich in Punken mit großer Mühe vergeblich den Bauernhof von Helmuts Großvater gesucht. Eine besondere Heimatfahrt habe ich mit Joachim Gladisch unternommen. Er zeigte mir seine Heimat in Betsche und Umgebung, und ich zeigte ihm meine Heimat in Tirschtiegel und Umgebung.

Weitere Ziele waren die Gottesdienste am Sonntagmorgen auf dem Friedhof in Rybojadl und die Sommerfeste auf dem Festplatz in Tirschtiegel. Auf dem Gutshof in Betsche hat Lukasz Robak mehrere deutsch-polnische Gemeinschaftsveranstaltungen durchgeführt, die ich mit Interesse besuchte. Ein weiterer Besuchsort war das Museum in Meseritz.

Mein letzter Besuch in der alten Heimat war die Teilnahme an den Tirschtiegel-Tagen auf dem Festplatz an der Obra, die mit zwei deutschen Partnerstädten veranstaltet wurden. Mit meiner Ehefrau nahm ich Quartier auf dem Bauerngasthof Eschenwalde, auf dem auch Albrecht Fischer von Mollard mit seiner Ehefrau und Sohn sowie seiner Schwester Brunfriede sich eingemietet hatten. Der Aufenthalt war sehr angenehm mit Mahlzeiten auf dem Hof. Am Samstagabend saßen wir bei Musik mit polnischen Gästen am Lagerfeuer und führten interessante Gespräche. Die Heimfahrt von diesem Besuch war der Abschluss meiner Heimatreisen.


Heimat-Kurzbiografie – Franz Marowski

Durch den Tod 2017 des Vorsitzenden Leonhardt v. Kalckreuth war die Wahl eines neuen Vorsitzenden erforderlich. Albrecht Fischer von Mollard folgte der Bitte, den ersten Vorsitz zu übernehmen, nicht ganz ohne Bedenken. Mit Fleiß und Initiative bewältigt er sein neues Aufgabengebiet in kurzer Zeit. Für seine weitere Tätigkeit wünsche ich ihm viel Erfolg und gute Gesundheit.

Weitere Heimatreisen ließ mein Gesundheitszustand nicht zu. Seit fünfzehn Jahren leide ich an essentieller Thrombozythämie, durch Medikamenteneinnahme aber kaum an Behinderungen. Sie stellten sich vor sechs Jahren ein, als ich Herzrhythmusstörungen und Vorhofflimmern bekam. Eine spürbare Beeinträchtigung der Lebensqualität stellte sich durch die erhebliche Gehbehinderung und eine starke Augenerkrankung ein. Auf dem rechten Auge bin ich blind, links habe ich nur noch ein Sehvermögen von 10 %. Mein Bezug zur Heimat besteht jetzt nur noch aus Gesprächen mit Heimatfreunden, dem Konsum von Presse- und Fernsehberichten sowie der Genusslektüre des Heimatgrußes.

Frei nach Kleist rufe ich aus:
„Nun, oh unsterbliche Heimat, bleibst du ganz mein!“