Max Hödel (1857-1878)Ein Posener Attentäter
Ein Text von Dr. Martin Sprungala

Vielen ist sicherlich noch aus ihrem Geschichtsunterricht in Erinnerung, daß es 1878 zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. gab, die Reichskanzler Otto v. Bismarck zur Durchsetzung der Sozialistengesetze („Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“) vom 21.10.1878 nutzte, die bereits am 22.10.1878 in Kraft traten. Aber kaum jemand wird wissen, daß es hier einen Zusammenhang zum Posener Land gibt.

Am 11.5.1878 fand das erste Attentat auf den Kaiser statt. Der arbeitslose, aus Leipzig stammende Klempnergeselle Max Hödel (1857-1878) gab aus einem Revolver zwei Schüsse auf den, in einer offenen Kutsche vorbeifahrenden, Kaiser ab. Die Schüsse verfehlten den durch die Allee Unter den Linden fahrenden Kaiser. Der Attentäter wurde noch direkt vor Ort festgenommen.
Beide Kugeln hatten ihr Ziel verfehlt und auch niemand anderen getroffen, doch das Attentat löste im ganzen Reich einen Sturm der Entrüstung aus. Der den sozialdemokratischen Parteien nahe stehende Attentäter wurde am 10.7.1878 zum Tode verurteilt und am 16.8.1878 in der Berliner Haftanstalt Moabit enthauptet.

Keinen Monat später, am 2.6.1878, erfolgte das zweite Attentat, bei dem Kaiser Wilhelm I. vor dem Haus Unter den Linden Nr. 18 mit einem Schuß aus seiner Schrotflinte schwer verletzt wurde. Der Täter war ein Akademiker und kein Arbeiter, aber er stand Kreisen der SPD nahe.

Karl Eduard Nobiling (1848-1878)Karl Eduard Nobiling (1848-1878) war der Sohn eines Domänenpächters aus dem Posener Land. Er wurde am 10.5.1848 auf der Domäne Kolno (später Kulm) bei Birnbaum (Miêdzychód) geboren. Nach dem Abitur studierte in Halle a. d. Saale Landwirtschaft und Staatswissenschaften. Zwei Jahre vor dem Attentat hatte er 1876 in Leipzig das philosophische Doktorexamen mit der Arbeit „Beiträge zur Geschichte der Land- wirthschaft des Saalkreises der Provinz Sachsen“ abgelegt. Den Kontakt zu radikalen Sozialisten bekam er über seine Arbeit im Statistischen Büro in Dresden während seines Studiums.
Man konnte ihn kaum über seine Motive verhören, aber es ist anzunehmen, daß ihn das erste Attentat auf Kaiser Wilhelm I. inspirierte, es selber nochmals zu versuchen. Er besorgte sich eine doppelläufige Flinte und lauerte dem Kaiser in dem Haus Unter den Linden 18 auf. Der wie üblich in der offenen Kutsche vorbeifahrende greise Kaiser wurde bei den zwei abgegebenen Schüssen von 30 Schrotkörnern des groben Schrots getroffen und schwer, aber nicht tödlich verletzt.

Als Passanten den Attentäter entdeckten, versuchte er sich mit einem Schuß in die Schläfe mit einem Revolver selbst zu töten. Die Polizei brachte ihn sofort zum Revier am Molkenmarkt, aber er war kaum verhörbar.
In den folgenden Wochen besserte sich sein Gesundheitszustand und seine Mutter und eine seiner Schwestern konnten ihn besuchen. Die Verhöre ergaben, daß Nobiling unter Zukunftsängsten litt und seine finanzielle Lage prekär war. Dazu gesellten sich Geltungssucht und verworrene sozialistische Ansichten.
In der Nacht vom 2. auf den 3. September unternahm er einen weiteren Selbstmordversuch und starb eine Woche später am 10.9.1878. Das Schicksal Nobilings wäre ebenfalls die Hinrichtung gewesen. Um die Schande zu verbergen nahm seine Familie den Nachnamen „Edeling“ an.

Zur Erinnerung an das erste Attentat auf den Kaiser schuf man eine Erinnerungsmedaille in Bronze, Silber und Gold mit der rückseitigen Aufschrift im Lorbeerkranz: „Gott schützte ihn bei dem Attentat am 11. Mai 1878“ und Theodor Fontane (1819-1898) reimte auf das mißlungene Attentat:

„Das war nicht nobel, Nobiling!
Du nahmst die Sache zu gering.
Man schießt mit ein paar Körnern Schrot
Nicht einen deutschen Kaiser tot!
Du warst kein Held, du warst ein Schelm,
Der Held, der war des Kaisers Helm,
Der stellte sich vor den Doppellauf
Und fing die dreißig Körner auf,
Ihn feiert mein Sang, ihn feiert mein Lied.“