Die Familie Fischer von Mollard
Ein Text von Przemyslaw Terlecki, Fotos: Fam. v. Mollard / Archiv HGr


Im HGr 230/Sept. 2019 hat Dr. Wolfgang Kessler, ehemaliger Direktor der Martin-Opitz-Bibliothek Herne und Mitglied des Beirats des HKr Meseritz auf den Seiten 43-44 das Buch „Wybrane karty z historii Nadlesnictwa Bolewice“ („Ausgewählte Bilder aus der Geschichte des Oberforstbezirks Bolewitz“) besprochen, das das Oberforstamt Bolewice anlässlich des 170-jährigen Bestehens der von Preußen 1848 etablierten Forstinspektion Bolewitz im Jahre 2018 herausgegeben hat.
Die Behörde verwaltet mehr als 17.000 ha staatliche Forstfläche im Gebiet der heutigen Gemeinde Miedziechowo / Kupferhammer, d.h. auf historischen Gebietsteilen des Kreises Meseritz östlich von Betsche und Tirschtiegel.
Ein Kapitel in diesem Buch ist meiner Familie, d.h. meinen Vorfahren gewidmet, da der frühere Besitz meines Vaters, Schloss Tirschtiegel mit insgesamt rd. 3 200 ha Wald, Wasser und vergleichsweise kleiner Landwirtschaftsfläche heute im Zuständigkeitsbereich des Oberforstamtes Bolewice liegt. Mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers gibt die HGr-Redaktion ihren Lesern nachfolgend das von Dr. Kessler übersetze Kapitel des Buches nur unwesentlich gekürzt zur Kenntnis – ein Blick aus polnischer Perspektive auf einen Ausschnitt der Geschichte meiner Heimatstadt Tirschtiegel/Trzciel. Einige Zusammenhänge und Hintergründe der Familiengeschichte konnten dem Autor nicht bekannt sein. Ich habe seine Angaben ergänzt und, wenn nötig, korrigiert und meine Ergänzungen durch Kursivschrift gekennzeichnet. A. F. v. M.


Ein Adliger auf seinem Boden... 1
Wenn man sich mit der Geschichte der Forstwirtschaft in der Gegend von Tirschtiegel befasst, darf man die vielleicht bekannteste Großgrundbesitzerfamilie nicht übergehen, die den Tirschtiegeler Landbesitz bewirtschaftet hat und deren Reichtum unmittelbar mit dem Wald verbunden war.
Ihre Geschichte in Tirschtiegel beginnt im Jahr 1851, als Johann Gotthelf Fischer [*1806 in Luckau/Niederlausitz, +1854 in Prieschka/Bad Liebenwerda], der erste Besitzer aus dieser Familie, den Besitz Tirschtiegel erwarb.
Der aus Sachsen stammende Fischer bezahlte am 16. September des Jahres 60 000 Taler für den Kauf des Schlosses, der Wälder und der Gewässer, die zu diesem adligen Besitz gehörten. Dadurch wurde Fischer der mächtigste Mann in der Stadt.
Die Geschichte der Fischers in Tirschtiegel sollte noch nicht einmal 94 Jahre dauern, aber sie sollte ein besseres Andenken hinterlassen als die beiden Adelsfamilien, die die Gegend vor ihnen beherrscht hatten: Die Familie der Fürsten Reuß von Plauen, die das Gut 23 Jahre (1819- 1842) in Besitz hatte, und die Familie des Grafen Gerhard zu Dohna Schlodien, die Tirschtiegel von 1842 bis 1851 beherrschte.
Wir wissen nur wenig darüber, welche Tirschtiegel betreffende Entscheidungen die Vorgänger der Familie Fischer getroffen haben. Viele Dokumente sind nicht mehr vorhanden, doch ist sicher, daß sie Trzciel, oder besser Tirschtiegel nicht soviel Aufmerksamkeit haben zukommen lassen wie gerade die Familie Fischer. Anders als die Vorbesitzer gehörte sie nämlich nicht dem Adel an und kaufte das Gut in Tirschtiegel nicht, anders als die Vorbesitzer, um es ihrem übrigen Besitz hinzuzufügen.
Johann Gotthelf Fischer stammte aus dem Bürgertum und war in gar keiner Weise ein Mensch der höheren gesellschaftlichen Sphären. Sein Engagement im Familieninteresse führte zur Erlangung eines riesigen Besitzes, was ihm und seiner Familie einen bedeutenden gesellschaftlichen Aufstieg bescherte, der sich durch den Kauf des Gutes in Tirschtiegel nur noch weiter stabilisierte. Als Fischer das Gut in Besitz nahm, wurde es sein „Augapfel“.

1 Diese Zwischenüberschrift erinnert an das polnische Sprichwort „slachciec na zgrodzie rowny nwojedwodzie“, „Ein Adliger auf seinem Boden ist gleich dem Wojewoden“


Der Magnat der Waldreviere
Wie erwähnt, „holte“ der sächsische Unternehmer seinen Reichtum wortwörtlich „aus dem Wald“. Fischer erwarb sein Vermögen nämlich durch Holzhandel. Er war Besitzer unterschiedlicher Forstund Waldflächen, dank derer er, auch wenn er aus einer Kaufmannsfamilie stammte, wie ein echter Adliger im Luxus lebte. [Der Familie Fischer gehörten damals außer der Herrschaft Tirschtiegel zwei weitere Güter, nämlich Drochow und Prieschka, beide in der Niederlausitz.]
Als Johann Gotthelf Fischer Tirschtiegel kaufte, befand sich in der Stadt eine alte und lange ausgediente Burg. Der Ort lag auf dem rechten Ufer der Obra und befand sich im Zustand des Verfalls. Der Besitzer beschloss deshalb, ein wirkliches Schloss als Sitz der Familie und äußeres Zeichen ihres Reichtums zu bauen.


In den Jahren 1868 und 1869 entstand dieses Bauwerk im Gebiet von Tirschtiegel Neustadt. Das schöne neoklassizistische Gebäude kostete den Kaufmann hunderttausende, war aber ein wirklicher Schatz für die Stadt. Sein charakteristischstes Merkmal war der achteckige Turm, von dem aus der Besitzer den Blick über die ganze Stadt hatte.

Das war nicht das einzige Kleinod in der Krone der Fischers. Im Jahre 1888 heiratete der Enkel des Erstbesitzers, der 1858 auf Schloss Tirschtiegel geborene Ernst Gotthelf Fischer, *1858 in Tirschtiegel, +1931 in Tirschtiegel, die ebenfalls nicht adlige, zehn Jahre jüngere Marie Mollard. [Er trug dieselben Vornamen wie sein Vater Ernst Gotthelf Fischer, *1833 in Prieschka, +1915 in Drochow.

Die protestantische Familie Mollard dagegen hatte ihre Wurzeln in Frankreich und floh wie viele Hugenotten vor der glaubensbedingten Verfolgung nach Preußen, wo der Name erstmals 1748 im Aufgebot für den „Jouwelen Schleiffer Carl Friedrich Mollardt“ urkundlich belegt ist. Den französischen Einwanderern wurde ein hohes Maß an Fleiß und Strebsamkeit nachgesagt, Tugenden, die offenbar auch auf die Nachkommen des Juwelenschleifers zutrafen, von denen eine ganze Reihe Juristen wurden.
So auch der 1801 in Berlin geborene Eduard Mollard, 1832 Kammergerichtsassessor zu Berlin, 1838 Oberlandesgerichtsrat in Insterburg (Ostpreußen). 1846 schied er aus dem Staatsdienst aus.

„Freude an der Landwirtschaft bewog ihn 1838 zum Erwerb der Herrschaft Góra im Kr. Jarotschin in Posen (4.000 ha), die er mit Umsicht bewirtschaftete...“, heißt es in der einschlägigen Literatur. Andernorts ist zu lesen: „Der später zum Geheimen Regierungsrat ernannte Eduard Mollard führte die Wirtschaft zu einer in der Provinz damals unbekannten Höhe und wirkte vorbildlich auf die Landwirtschaft seiner Heimat.
Einführung edelster Zuchttiere an Pferden, Rindvieh und Schafen, namentlich aus Trakehnen und England, intensive Ackerbehandlung, Drillkultur, Drainage und Anlage von Rieselwiesen, künstliche Düngung, landwirtschaftliche Industrie durch den Bau von Brennerei, Brauerei (1853) Mahlmühle (1840), Schneidemühle, Ringziegelofen (1864), Gasanstalt, Knochenmühle und schließlich im Jahre 1869 Aufstellung des ersten, für 25 000 Taler aus England importierten Fowlerschen Dampfpfluges im Osten hatten die Herrschaft Góra längst in den Ruf einer Musterwirtschaft gebracht,“

Es mag ihm zwar gelungen sein, Beruf und Hobby wirkungsvoll nachzugehen, zur Gründung einer Familie blieb ihm dabei jedoch offenbar keine Zeit, denn er verstarb 1875 unvermählt und kinderlos. Das Erbe trat der jüngste Sohn seines um ein Jahr jüngeren Bruders Carl, sein 1845 geborener Neffe Rudolf Mollard, der die Offizierslaufbahn eingeschlagen hatte und Major war, an.

Weitere entscheidende Ereignisse aus der Geschichte der zwar vermögenden, aber dennoch vom Schicksal gebeutelten Familie Mollard müssen hier noch erwähnt werden. Rudolf hatte drei ältere Brüder: Carl verstarb 1839 noch im Kindesalter von zwei Jahren, dessen Bruder Ernst kam 1861 als Seekadett mit 18 Jahren beim Untergang des preußischen Schulschiffs „Amazone“ vor der niederländischen Küste ums Leben. Der älteste Bruder Maximilian, 10 Jahre älter als Rudolf, war Regierungsrat in Berlin und hatte dort 1865 geheiratet. Aber auch ihm war nur ein relativ kurzes Leben vergönnt; er starb 42-jährig 1877 und hinterließ eine 33-jährige Witwe und fünf Töchter im Alter zwischen 11 und 2 Jahren. Gut zwei Jahre nach dem Tod des Bruders heiratete Rudolf Mollard 1879 seine Schwägerin und holte das „6-Mädel-Haus“ aus Berlin zu sich auf den Besitz Góra. Wie so oft lagen auch in seiner Familie Glück und Unglück dicht beieinander, denn nur 2 Jahre später verstarb 1881 die älteste seiner fünf Stieftöchter, Clara, im blühenden Alter von 15 Jahren.


1882 dagegen war wieder ein erfreuliches Jahr, denn der preußische König Wilhelm I erhob Rudolf Mollard in Anerkennung der Verdienste sowohl seines Onkels Eduard als auch seiner eigenen – er hatte als preußischer Offizier an den Feldzügen 1866 gegen Österreich und 1870/71 gegen Frankreich teilgenommen – in den erblichen Adelsstand. Im Text der Urkunde heißt es u.a.: „Wir erheben und versetzen hierdurch ... den Rittergutsbesitzer Rudolf Carl Paul Mollard auf Góra, Kreis Pleschen nebst seinen bereits vorhandenen und künftigen rechtmäßigen ehelichen Leibes-Erben und Nachkommen, beiderlei Geschlechts, in den erblichen Adelsstand ..“ Da die vier noch lebenden (Stief-)Töchter keine „ehelichen Leibes-Erben“ Rudolfs waren und auch seine Ehe mit seiner Schwägerin kinderlos blieb, war er der einzige, der fortan „von Mollard“ hieß. Mit dieser Erkenntnis geht es im Originaltext weiter.]



Auch in Góra befand sich ein architektonisch gelungenes Schloss, das in den Jahren 1877/78 nach einem Entwurf des Berliner Architekten Paul Röttger erbaut worden war.
Dieses Schloss im Neorenaissancestil (auch genannt der „Stil der Königin Anna“) wurde der zweite große Schatz der Familie Fischer. Sein Wert wurde noch dadurch erhöht, daß in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts um das Schloss ein Landschaftspark angelegt worden war. Noch heute findet man in ihm viele interessante Bäume, darunter drei Eichen im Umfang von 355, 388 und 400 cm. Darüber hinaus wachsen im Park Fächerblattbäume (Gingko biloba), ahornblättrige Platanen und Rotbuchen.

Ein Turm als Zeichen der Liebe
Im selben Jahr, gleich nach der Eheschließung, beschloss Ernst Gotthelf Fischer ein eindrucksvolles Bauwerk zum Andenken an seine Hochzeit zu errichten.
Der Besitzer von Tirschtiegel liebte seine Ehefrau so sehr, daß er den neu erbauten Feuerwachturm „Marienturm“ nannte. Der sich im Gebiet der Oberförsterei Bolewice befindliche Turm ist ein Schmuckstück der Försterei Lesny Folwark/ Altvorwerk. Er ist 24 Meter hoch und wurde auf dem Czarcia Góra/Teufelsberg errichtet, der mit 109 m ü.d.M. höchsten Erhebung der Gegend. Im Jahr 2004 gelang es, Mittel für die Renovierung des Baudenkmals zu beschaffen.

Die Oberförsterei erhielt für diese Sanierung im Wettbewerb „Modernisierung des Jahres 2005“ einen Hauptpreis in der Kategorie „Industrie- und Ingenieurobjekte“. Dank der Bemühungen der Forstleute wird der vom Besitzer der Herrschaft Tirschtiegel errichtete Turm bis heute als Aussichtsturm genutzt und dient in dem Waldgebiet zusätzlich als Beobachtungsturm zur Brandbekämpfung.
Über den Bau des „Marienturms“ freuten sich am meisten die Kinder Ernst Gotthelf Fischers, Annemarie [1889 – 1947], Waltraut [1893 – 1916] und Gerd [1898 – 1961].
[Außer den genannten hatte er noch drei weitere Kinder, nämlich Ernst [1894 – 1966], Maximilian (1896 – 1920] und Eduard [1902 – 1966], die sicherlich auch alle ihre Freude an dem Bauwerk hatten]. Sie spielten gerne in der Umgebung des Turms und bewunderten die Aussicht. Wie in den Erinnerungen des 1961 verstorbenen Gerd Fischer von Mollard nachzulesen ist, war der Turm neben der Schwedenschanze in Rybojady/Rybojadel eines der Lieblingsziele für Ausflüge der jungen Leute.


Die wachsende Stadt und das Gut
Hinzuzufügen ist, dass das Jahr 1888 [das Jahr der Eheschließung von E.G. Fischer mit M.L. Mollard] auch für die Geschichte Tirschtiegels von besonderer Bedeutung war, wurden doch die bis dahin getrennten Gemeinden Alt- und Neu- Tirschtiegel vereint. Die Städte, die bisher zwei separate Bürgermeister hatten, wurden zu einer Verwaltungseinheit verschmolzen.
[Mit seiner Vermählung 1888 übernahm Ernst Gotthelf Fischer die Verantwortung für den Besitz Schloss und Gut Tirschtiegel. Er lebte dort mit seiner Frau Marie Louise, geb. Mollard, verwaltete seinen Besitz, gemeinsam wurden ihnen insgesamt sechs Kinder geschenkt. Im Jahre 1899 verstarb 54-jährig Rudolf von Mollard, der Besitzer von Góra und Stiefvater der Schlossherrin von Tirschtiegel, die nunmehr das Erbe antrat und Fideikommissherrin auf Góra wurde mit der Folge, dass das Ehepaar Fischer zur Wahrnehmung ihrer erweiterten Verantwortung zwischen beiden Gütern pendelte.]
[Beide Güter, sowohl Góra als später auch Tirschtiegel waren sog. Fideikommisse, d.h., sie konnten im Erbfall nur ungeteilt an einen Erben weitergegeben werden!]
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Gegen Ende des 19. Jahrhunderts besaß die Familie Fischer allein in Tirschtiegel 2.634 ha Land. Dazu gehörten Forstwirtschaften in Krolewiec, Lubenhauland und Ziegelscheune sowie zwei Vorwerke: Waldvorwerk und Osetna Mlyn/Annamühle, eine Kalkbrennerei und ein mit einer Dampfmaschine betriebenes Sägewerk.
Es waren 264 ha Ackerland, 61 ha Grasland, 1698 ha Waldbesitz, das Schloss mit dem ihn umgebenden Park sowie alle Gewässer, die sich auf diesem Gebiet befanden. Allein der Gutsbezirk zählte 14 Wohnhäuser und 148 Einwohner.
Ernst Gotthelf Fischer leitete diesen ausgedehnten Besitz nicht alleine. Die Aufsicht über die Ländereien, insbesondere die Forstwirtschaft und die Jagd hatte Karl Draber. Er arbeitete für die Familie Fischer als Gutsbeamter und erledigte die Forst- und die Jagdangelegenheiten.


Gesellschaftlicher Aufstieg und Fall
Für die Familie Fischer bedeutete das Jahr 1902 einen wesentlichen Einschnitt: Sie wurde in den Adelsstand erhoben.
[Dieses Ereignis stellte sich jedoch nicht von allein ein, sondern wurde letztlich von dem verstorbenen Rudolf ausgelöst. Da dieser der letzte männliche Träger des Namens Mollard war, hatte er testamentarisch seinen ältesten Schwiegersohn Ernst Gotthelf Fischer in die Pflicht genommen, ein entsprechendes Gesuch auf Erhalt des Namens Mollard beim preußischen König und deutschen Kaiser Wilhelm II zu stellen.
Mit der bemerkenswerten Anrede „Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster Kaiser und König! Allergnädigster Kaiser, König und Herr!“ trug dieser sein Anliegen vor und versicherte am Ende des Briefes „In tiefer Ehrfurcht verharret als Eurer Kaiserlichen und Königlichen Majestät alleruntertänigster Ernst Fischer“.
Wilhelm II war zwar geneigt, dem Antragsteller den erblichen Adel zu verleihen, er wollte jedoch „die Schritte des Fischer zur dauernden Erhaltung des Mollard’schen Besitzes in seiner Familie vorangehen lassen“.
Damit war gemeint, mein Großvater sollte zuvor den Besitz Tirschtiegel wie Góra als Fideikommiss stiften, was in den nächsten drei Jahren juristisch vollzogen wurde. Die Erhebung in den Adelsstand und die gleichzeitige Einsetzung des Namens „Fischer von Mollard“ zusammen mit dem Familienwappen, „welches meine Familie bereits seit einem Jahrhundert führt und dessen Weiterführung in meinem besonderen Wunsche liegt“, wie Rudolf von Mollard vor seiner Nobilitierung 1882 an das Königliche Heroldsamt nach Berlin schrieb, erfolgte im für derartige Anlässe traditionellem Rahmen eines großen Herbstmanövers am 4. September 1902 in Posen]
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Seither wurden die Namen Fischer und Mollard in einem neuen Namen zusammengefasst: Fischer von Mollard. Die Nachkommen benutzen diesen Namen bis heute. Die aus Sachsen stammende Kaufmannsfamilie erfuhr durch die Erhebung in den Adelsstand die lange erhoffte Ehrung. Obwohl die Familie Fischer schon lange vor der Nobilitierung besser als fast jeder Adliger in Deutschland lebte, war diese für sie eine wirkliche Ehrung und die Anerkennung ihrer Bedeutung in Deutschland.
Ernst Gotthelf Fischer und seine Frau Marie Louise konnten allerdings nicht lange ein ruhiges Adelsleben führen. Im Jahre 1914 brach der Erste Weltkrieg aus und veränderte vollständig ihr Leben. Im Jahre 1916 verstarb ihre zweite Tochter Waltraud.
Die Wiedererstehung Polens nach dem Krieg verkomplizierte das Leben der Familie. Die nach dem Großpolnischen Aufstand östlich der Stadt gezogene, im Friedensvertrag von Versailles definitiv festgelegte Grenze machte Tirschtiegel zur Grenzstadt. Hier war es nicht mehr so ruhig, und die Folgen von Krieg und Aufstand veränderte das Landschaftsbild der Gegend. In der Stadt begann sich in bedeutendem Maße Kriminalität zu entwickeln, insbesondere Schmuggel. Es wuchsen antipolnische Stimmungen, denen sich nicht nur die Bürger der Stadt anschlossen, sondern auch die Familie Fischer. Ein wesentliches „Unrecht“, das der Familie Fischer von Mollard zugefügt wurde, war die Entscheidung der Regierung der Weimarer Republik im Jahre 1928, die Gutsbezirke, d.h. die verwaltungsmäßige Abtrennung des Gutsbesitzes von den politischen Gemeinden, aufzuheben. Das bedeutete für die Familie das Ende ihrer politischen Sonderstellung in Tirschtiegel, auch wenn sie sich weiter besonders großen Ansehens erfreute. Zwei Jahre danach wurde das Schloss der Familie einer gründlichen Renovierung unterzogen.
Ein Jahr später übernahm Gerd Fischer von Mollard [nach dem Tod seines Vaters Ernst Gotthelf 1931] den Tirschtiegeler Besitz. Der 33jährige Adlige war mit Erika von Roell verheiratet, die den Familiennamen ihres Ehemannes annahm. Der Ehe entstammten sieben Kinder.

Das Familienoberhaupt fand keine Ruhe. Die Geschäfte liefen wegen der in Tirschtiegel wachsenden Kriminalität und der politischen Spannungen an der Grenze schlecht. Als die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen, verschärfte sich die angespannte Atmosphäre weiter, und sechs Jahre später kam es zum Krieg.
Bis vor kurzem bestand die Meinung, Eduard, der jüngste Bruder Gerd Fischer von Mollards, hätte zu Kriegsbeginn in Pleszew/Pleschen zehn Personen, darunter eine Mutter mit Kindern, ermordet.
Er hätte aus seinem Flugzeug DH-60G Gipsy Moth zehn Bomben auf die Stadt abgeworfen. Der Verdacht fiel auf ihn, weil er als einziger Einwohner Großpolens ein Flugzeug und einen eigenen Flugplatz besaß. Er wurde auch jahrelang der Spionage für das Dritte Reich verdächtigt. Erst vor kurzem wurde seine Unschuld erwiesen.

Der von den Deutschen verlorene Krieg endete damit, daß eine Welle von Rotarmisten durch Tirschtiegel zog, die fast die gesamte deutsche Bevölkerung aus der Stadt verjagte. Die Familie Fischer von Mollard verbrachte ihren letzten Tag in Tirschtiegel am 23. Januar 1945. In den Erinnerungen der deutschen Bevölkerung der Stadt erscheint dieser Dienstag als Tag des Untergangs. Die Rote Armee war nicht mehr weit entfernt, und niemand zweifelte daran, daß sie bald in die Stadt einfallen würde. Trotz Protesten von polnischen Bediensteten gegenüber der Familie Fischer von Mollard [es war eher die Bitte bzw. Aufforderung, in Tirschtiegel zu bleiben mit der gleichzeitigen Zusicherung, man würde die Familie vor Übergriffen der Roten Armee bewahren], entschloss sich die Familie zur Fahrt in das Innere Deutschlands. Als Ziel wählte sie Gülzow, eine Stadt in Schleswig-Holstein. Dort traf sie am 24. März 1945 ein.



Die Flucht der Fam. Fischer von Mollard
Fotos, Briefe und persönliche Berichte erzählen anschaulich die Fluchtgeschichte der Familie im Winter 1945 von Tirschtiegel nach Goslar (Harz) und später nach Gülzow (bei Hamburg) – zusammengestellt von Albrecht Fischer v. Mollard.

Teil 2: Nach der Flucht – Neubeginn westlich der Oder
Teil 3: Nach der Flucht – Neubeginn westlich der Oder
Teil 4: Nach der Flucht – Neubeginn westlich der Oder




Was vom Holzadel geblieben ist
Man kann nicht übersehen, daß, obwohl es die Familie Fischer von Mollard in Tirschtiegel nicht mehr gibt, ihr Erbe bis heute existiert. Das Schloss wurde [nach Erkenntnissen der Familie Fischer von Mollard, nachdem sie es am 23. Januar 1945 zurücklassen musste, geplündert und zur Verwischung von Spuren Stunden oder Tage später in Brand gesteckt. Es brannte vollkommen aus, blieb bis 1954 oder 1955 als Ruine stehen und wurde schließlich abgerissen, um Platz zu machen für den Neubau der Schule]. Bis heute dient das (möglicherweise aus den Ziegeln des Schlosses errichtete) Gebäude den jungen Tirschtiegelern als Schulgebäude.

Die früheren Arbeitersiedlungen des Gutes sind heute wie Jablonka/Alt Jablonka, Osetna Mlyn/ Annamühle und Pradówka/Ziegelscheune Wohngebiete. Die Wälder und Seen unterstehen heute fast vollständig der Forstverwaltung. Den größten Teil der Hinterlassenschaft bewirtschaftet heute das Oberforstamt Trzciel. Ein Teil dieser Ländereien mit den schönsten Teilen des Besitzes, die Gerd Fischer von Mollard gern gehabt hat wie die Schwedenschanze, den Marienturm und das Heideland stehen heute unter der Aufsicht von zwei Forstbezirken des Oberforstamts.