Von Posen nach Obrawalde –Ernst Baron von Heyking
(1862-1940)

Ein Text von Katarzyna Sztuba-Frackowiak

Wappen der Barone v. HeykingKindheit und Jugend in West- und Ostpreußen)

Ernst August Julius Baron von Heyking wurde am 14. Dezember 1862 in der Kleinstadt Neuenburg (seit 1920 Nowe) im Kreis Schwetz (Swiecie) in der Provinz Westpreußen als Sohn eines Amtsgerichtsrats geboren.
Er stammte aus einer kurländischen Adelsfamilie, der der polnische König Stanislaus August Poniatowski (1764-1795) das Indigenat verliehen hatte. Nach dem Besuch der Gymnasien in Marienburg (Malbork) und Danzig (Gdansk) immatrikulierte sich der junge Heyking an der Albertus-Universität in Königsberg i.Pr. für Rechts- und Staatwissenschaften und wurde dort Aktiver des Corps Baltia Königsberg, einer schlagenden Studentenverbindung.
Er wechselte, wie damals üblich, an die Universitäten in Jena, in Halle und an die Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin, wo er 1884 das Erste Juristische Staatsexamen ablegte.

Eine preußische Beamtenkarriere

Seine juristische Ausbildung setzte Heyking seit dem 10. Oktober 1884 als Gerichtsreferendar im Regierungsbezirk Marienwerder fort.
Nach dem Zweiten Juristischen Examen wurde er 1886 als Verwaltungsjurist bei der Regierung in Danzig angestellt, stand also im königlich preußischen Staatsdienst.
1891 vertrat er den Landrat des Kreises Pinneberg in Holstein, 1892 wurde er bei der Regierung in Schleswig zuständig für die Einkommensteuer der damals noch selbstständigen Stadt Altona (heute Stadtteil von Hamburg).
1895 kehrte Heyking zur Regierung in Danzig zurück und wurde dort 1898 zum Regierungsassessor ernannt, der Eingangsstufe in den höheren preußischen Beamtendienst.
1899 Regierungsrat. Nach kurzer Vertretung des dort vakanten Landratspostens wurde Heyking im selben Jahr zum Landrat in Pless (Pszczyna) in Oberschlesien ernannt, ein Karrieresprung, nachdem sein Vorgänger nach einem Jahr im Amt einen Nervenzusammenbruch erlitten und in einer „Irrenanstalt“, wie Nervenheilanstalten damals offiziell hießen, untergebracht worden war.
1904 wurde er auf der Liste der konservativen Partei für den Wahlkreis Pless-Rybnik in das Preußische Abgeordnetenhaus gewählt. 1908 unterlag er allerdings in seinem Wahlkreis dem katholischen Zentrum und der Polenpartei.

Ernst Baron von Heyking


Landeshauptmann in schwierigen Zeiten
Nach dem Verlust des Mandats wurde Heyking 1908 zum Polizeipräsidenten in Posen ernannt und leitete das Polizeipräsidium bis 1911.
Der auf der polnischen Seite politisch aktive Tadeusz Kryspin Jackowski (1859-1924) erwähnt ihn in seinen im Staatsarchiv Poznan erhaltenen Memoiren.
1911 wählte der Posener Provinziallandtag Heyking als Nachfolger Sigismund von Dziembowskis (1849-1915), des Besitzers von Bobelwitz (Bobowicko) zum Landeshauptmann.
Der Landeshauptmann, bis 1875 in der Provinz Posen „Landesdirektor“, war als Chef der Provinzialselbstverwaltung der oberste Landesbeamte und leitete den Provinzialverband, der, vergleichbar mit den heutigen Landschaftsverbänden in Nordrhein-Westfalen, unter anderem für das Verkehrswesen und die psychatrische Versorgung (und damit für die „Provinzial-Irrenanstalt“ Obrawalde) zuständig war.

Als Heyking drei Jahre im Amt war, begann der Erste Weltkrieg. Viele Beamte der Landesverwaltung wurden eingezogen und fielen durch Kriegshandlungen.
Nachdem als Ergebnis des am 27. Dezember 1918 in Posen ausgebrochenen Großpolnischen Aufstands der oberste polnische Volksrat in Posen die oberste Regierungsund Militärgewalt übernommen, den Reichstags- und preußischen Landtagsabgeordneten Wojciech Trampczynski (1860-1953) zum Oberpräsidenten und Posener Regierungspräsidenten ernannt hatte und das preußische Staatsministerium am 20. Januar 1919 die leitenden Staatsbeamten in Posen beurlaubt hatte, setzte der Volksrat Heyking als obersten Landesbeamten ab und ließ ihn verhaften.
Heyking hat die Vorgänge aus seiner Sicht in seiner 1919 in Meseritz in der „Druckerei der Landeshauptverwaltung“ gedruckten „Rechtfertigungsschrift des Landeshauptmanns der Provinz Posen Ernst von Heyking in Sachen seiner auf Antrag des Obersten polnischen Volksrats in Posen im Mai 1919 im Disziplinarwege erfolgten Amtsentsetzung“ dargestellt.

In Obrawalde

Meseritz lag westlich der Demarkationslinie, die im Trierer Vertrag vom 16. Februar 1919 gezogen wurde und bis zum Vollzug des Versailler Vertrags am 20. Januar 1920 den deutschen und den polnischen Herrschaftsbereich provisorisch abgrenzte.
In Meseritz wurde für den bei Deutschland verbleibenden Teil der Provinz Posen mit Blick auf die Grenzziehung in den Friedensverhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und Polen eine provisorische „Landeshauptverwaltung“ eingerichtet.

Ernst Baron von Heyking

Die preußische Verfassung vom 20. November 1920 sah eine Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen aus den beim Deutschen Reich verbliebenen Teilen der Provinz Posen und den westlich der neu gezogenen Grenze befindlichen Teilen der Provinz Westpreußen vor, für die der Preußische Landtag im „Ostmarkengesetz“ mit Wirkung vom 1. Juli 1922 die Grundlage schuf.

Warum verlegte Heyking die von ihm geleitete Landesverwaltung nach Meseritz? Von den unter seiner Aufsicht stehenden Einrichtungen waren im Frühjahr 1919 nur die Fürsorgeanstalt in Fraustadt, die Taubstummen Anstalt in Schneidemühl und die Heilanstalt in Obrawalde bei Meseritz im Deutschen Reich verblieben.

Obrawalde

In der nahe Meseritz gelegenen, noch nicht eingemeindeten Landesheilanstalt Obrawalde gab es Leerstand, da Patienten in entsprechende Anstalten im jetzt polnischen Herrschaftsbereich (zum Beispiel nach Koscian/Kosten) verlegt wurden. Die Anlage der seinerzeit hochmodernen Heilanstalt nahm eine große Fläche ein, es gab ausreichend Gebäude, in denen unter anderem Flüchtlinge aus dem nach dem Waffenstillstand polnisch kontrollierten Teil der Provinz Posen untergebracht werden konnten.
Hier war auch Platz für die aus Posen nach Meseritz umgesiedelten Beamten, die Ernst von Heyking hier unterbrachte. In den Jahren 1919 bis

1922 leitete er als Landeshauptmann im Verwaltungsgebäude der Anstalt die nach Meseritz umgesiedelte Landesverwaltung. Hier ließ er eine Gedenktafel für die im Ersten Weltkrieg gefallenen Beamten seiner Behörde anbringen.


Ernst Baron von Heyking

Heyking war in ständigem Kontakt mit dem bisherigen Regierungspräsidenten in Bromberg, dem späterem Oberpräsidenten Friedrich von Bülow (1868-1936), der seit November 1919 in Schneidemühl (Pila) die seit dem Sommer von ihm aufgebaute „Regierungsstelle Schneidemühl“ leitete, die wesentlich aus Beamten der Regierung in Bromberg bestand.
In Schneidemühl war die Unterbringung mehr als provisorisch, so daß die Landesbzw. Provinzialverwaltung bis 1928, als durch Neubauten in der Provinzialhauptstadt Schneidemühl ausreichend Büroräume für die Verwaltung zur Verfügung standen, mit dem Dienstort Meseritz in Obrawalde arbeitete.

Die hier abgebildeten Dokumente zeigen Heykings Bedeutung für die Landesverwaltung in der Übergangszeit zwischen dem Großpolnischen Aufstand und der Bildung der Provinz Grenzmark Posen-Westpreußen 1922.


Ernst Baron von Heyking

Ernst Baron von Heyking


Ernst Baron von Heyking


Ernst Baron von HeykingIm Ruhestand in Görlitz
Am 8. August 1922 wählte der Provinziallandtag der neu gebildeten Provinz den Sozialdemokraten Dr. Johann Caspari (1888-1984; vgl. HGr 50, 1974, S. 5; 94, 1985, S. 15) zu deren Landeshauptmann. Ernst von Heyking zog im Ruhestand nach Görlitz (damals zu Schlesien). Hier war er als „alter Herr“ im corpsstudentischen Milieu aktiv und befasste sich eingehend mit der Geschichte seiner Familie.
1934 schloss er das Typoskript seiner leider ungedruckt gebliebenen dreibändigen „Geschichte der zum Kurländischen Indigenatsadel gehörenden Familie der Barone von Heyking“ ab.
Ernst Baron von Heyking starb in Görlitz am 14. Mai 1940, nach Beginn des Zweiten Weltkriegs. Sein Lebenslauf ist verbunden mit der weitgehend unbekannten Episode der Provinzialverwaltung der „Grenzmark“ in Meseritz.