Die Grenze zwischen Deutschland und Polen und der Beginn des Zweiten Weltkriegs zwischen Miêdzychód und Fraustadt

Univ.- Professor Dr. habil. Marceli Tureczek

Vorab-Auszug aus „Pogranicze. Przeszlosc bez historii“, „Grenzland. Die Vergangenheit ohne Geschichte“, welches im Frühjahr 2021 erscheinen wird.


Am 17. August 1939 schlossen die örtlichen Behörden in Miêdzychód (Birnbaum) die Druckerei des Deutschen, weil er deutsche Propagandazeitschriften herausgab. Ende des Monats musste ein deutsches Aufklärungsflugzeug in der Nähe von Obra bei Wolsztyn (Wollstein) notlanden.
Der Pilot wurde gefangengenommen und am Grenzübergang den zuständigen deutschen Stellen übergeben. Das Flugzeug wurde einige Tage später von deutscher Seite mit einem großen Lastwagen nach Schwenten geholt.
Die polnischen Grenzwachen beobachteten die Flucht von Deutschen, die sich der Einberufung in die polnische Armee entziehen wollten, über die Grenze. Dieser illegale Grenzverkehr führte häufig zu bewaffneten Aktionen deutscher Schmugglerbanden gegen polnische Grenzbeamte.

Viele der Deutschen aus Polen, denen wegen ihrer Flucht die polnische Staatsbürgerschaft aberkannt wurde, hatten in polnischen Einheiten ihren Militärdienst geleistet. Es gab viele solcher Fluchten ins Deutsche Reich, vor allem flüchteten Aktivisten der deutschen politischen Organisationen in Polen, der „Deutschen Vereinigung“ und der „Jungdeutschen Partei“. Nach Barbara Ratajewska, die in den Archiven in Posen und Leszno (Lissa) die einschlägigen Polizeiberichte untersucht hat, sind von Januar bis Juni 1939 nach unterschiedlichen Quellen etwa 2400 bis 2600 Personen deutscher Nationalität aus der Wojewodschaft Posen geflohen.
Die Deutschlehrer Gustaw Harlos und Friedrich Stückmann waren an der Absetzbewegung von Deutschen in der Nähe von Leszno (Lissa) beteiligt. Es handelte sich nicht mehr nur um Vorfälle wie um das Jahr 1932, als Mitglieder des „Jungdeutschen Ordens“ an der Grenze bei Miêdzychód Grenzsteine zerstört, Absperrungen durchsägt und Masten umgestoßen hatten.
Es gab erste Gerichtsverfahren gegen deutsche „Defätisten”. Am 24. August 1939 informierte der „Orêdownik na Kreisy Nowy Tomysl, Wolsztyn i Miêdzychód” [„Fürsprecher für die Kreise Neutomischel, Wollstein und Birnbaum“] über den Prozess gegen einen Deutschen aus Wolsztyn:

[...] Wolsztyn: Reicher deutscher Kaufmann wegen Defätismus verhaftet.

Der wohlhabende deutsche Kaufmann Max Kutzner aus Jablonna [Kreis Wolsztyn] wurde von den Polizeibehörden verhaftet. Kutzner hat ein großes Vermögen mit dem Handel von Beeren und Eiern gemacht. Als er kürzlich eine Bescheinigung über die Erfüllung seiner pflichtgemäßen Zeichnung der Luftschutzanleihe [POP = Polyczka Obrony Przeciwlotniczej - Anm. d. Vf.] erhalten wollte, erklärte er, dem FON [Front Obrony Narodowej = Nationale Verteidigungsfront – Anm. d. Vf.] den Betrag von 500 Zloty spenden zu wollen. Diese Bescheinigung brauchte er offensichtlich, um materielle Vorteile zu erlangen. Diese 500 Zloty (die er noch nicht bezahlt hat) täten ihm allerdings leid, es sei schade um dieses Geld für die Polen, denn bald werde Hitler nach Polen kommen. Die Verhaftung Kutzners löste große Genugtuung in der polnischen Gesellschaft aus, denn Kutzner hat sein Vermögen durch die Arbeit mittelloser Polen verdient, denen er Beeren und Milchprodukte fast zum Nulltarif abgekauft hat [...].


Am 29. August 1939 werden wir an gleicher Stelle über den Fall eines anderen Deutschen aus Wolsztyn informiert:

[...] Deutscher wegen Defätismus zu 8 Monaten Gefängnis verurteilt.

Wie wir seinerzeit bereits berichtet haben, wurde der in Chorzemin [bei Wolsztyn] lebende deutsche Staatsbürger Geisler Wilderich in Wolsztyn wegen Verbreitung von Defätismus verhaftet. In dem Prozess vor dem Stadtgericht in Wolsztyn wurde der durch zwei Anwälte verteidigte illoyale Deutsche zu einer Gefängnisstrafe von acht Monaten zum sofortigen Vollzug verurteilt. Den Antrag der Anwälte, Geisler auf freien Fuß zu setzen, lehnte das Gericht wegen der Gefahr der Flucht ins Ausland ab. Das Urteil erregte in Wolsztyn verständlicherweise Aufsehen [...].

Liest man die Presse des polnischen Grenzgebiets aus den letzten Augusttagen 1939, wirkt die Ruhe erschreckend. Der Krieg ist irgendwie noch weit weg, auch wenn die Parolen „Seid bereit!“ Normalität geworden sind. Zur selben Zeit erklärte die Presse den „Schiebern“ den Krieg, in der Sprache der Zeit des Sozialismus den „Spekulanten“. Wie die Zeitungen berichteten, waren die Personen, die die Geschäften leerkauften, das Problem, während die Ehefrauen der eingezogenen Reservisten keine Lebensmittel für ihre Familien kaufen konnten. Zu solchen Problemen kam es in Miêdzychód.

Außerdem berichtete die polnische Presse der Grenzregion noch am 29. August:
- Pakt Berlin – Moskau. Abdruck des gesamten Paktes,
- Massenverhaftungen von Polen in Danzig,
- Polnisch-britischer Bündnisvertrag unterzeichnet, Londons Optimismus nach der Unterzeichnung des deutsch-russischen Vertrags,
- den Roman „Der böse Geist“,
- Erster Luxtorpeda [Luxus-Expresszug] zwischen Posen und Warschau,
- Motorisierungsrekord in Polen – 1557 Neuwagen im Juli verkauft, darunter 796 PKW...


Aber es mangelte auch nicht an anderen Informationen:
Über die britische Flotte in Gibraltar, die Mobilisierung in Rumänien und in der Türkei, Mitglieder des Reichstags bei Hitler (der Reichskanzler lud am vergangenen Sonntag Mitglieder des Reichstags ein und betonte in seiner Ansprache den „Ernst der Stunde“, weitere Einzelheiten wurden nicht genannt...).
Es gab einen Appell an die Bauern: „Landwirte, denkt an die Einschreibung Eurer Söhne in der Landwirtschaftsschule in Nowy Tomysl [Neutomischel]“, und das Juliusz Slowacki-Lizeum in Grodzisk Wielkopolski (Grätz) gab den Termin der Einschreibung von Schülern und Schülerinnen für die erste Klasse bekannt.
Mit Optimismus wurde verkündet: „Statt des Kreuzers ein Schulschiff – die Ankunft der Schleswig- Holstein in Danzig“ (von der am 1. September 1939 um 4:47 Uhr dann doch als propagandistisches Zeichen die ersten Schüsse des Krieges auf die Westerplatte in Danzig abgefeuert wurden). Die Zeitung informierte, daß es sich um ein altes, 1905 aufgelegtes Schulschiff handelte. Ausländer verlassen das Deutsche Reich...


Der 1. September 1939
[...] Vergebens sind die Rechungen der Feinde auf die Schwäche Polens [...]. Wir werden nicht nur nicht das ganze Polen hergeben, sondern gar nichts!
General Edward Rydz-Smigly, Hauptgeschäftsführer der polnischen Armee, auf dem XII. Kongress der Polnischen Legionäre 1935

Hallo, hallo, hier ist Warschau und alle polnischen Radiosender. Heute morgen um fünf Uhr überquerten vierzig deutsche Einheiten die Grenze zu Polen und brachen damit den Nichtangriffspakt.
Mehrere Städte wurden bombardiert. In Kürze hören Sie eine Sondermeldung. Es ist Krieg! Ab heute werden alle anderen Probleme und Fragen zurückgestellt. Unser ganzes öffentliches und privates Leben müssen wir umstellen, wir sind im Kriegszustand. Alle Anstrengungen der Nation müssen in eine Richtung gehen. Wir alle sind Soldaten. Wir müssen nur an eines denken – Kampf bis zum Sieg!
Die von dem Radiosprecher Zbigniew Swietochlowski am 1. September 1939 im Polnischen Rundfunk verlesene Sondermeldung).

Paluch, Sobera, Walczak...
In unmittelbarer Nähe von Betsche (Pszczew)) befand sich an der Straße nach Silna (Schilln) der westlichste Grenzposten der Zweiten Polnischen Republik. Er unterstand dem Kommando in Miedzychód. Auf der damals deutschen Seite der Grenze führt hinter dem ehemaligen Gutshof und der nicht mehr existierenden evangelischen Kirche eine prächtige Kastanienallee bis zur damaligen Grenze – eine stumme Zeugin der Geschichte, die an den Kriegsbeginn erinnert; auf der polnischen Seite führte die heute asphaltierte, damals unbefestigte Straße von Silna (Schilln) aus durch einen Wald.
In der Nacht vom 31. August auf den 1. September 1939 diente hier der polnische Grenzsoldat Antoni Paluch, im Ersten Weltkrieg preußischer Soldat, 1919 Teilnehmer am Großpolnischen (Posener) Aufstand, vom Mai 1921 an Grenzschutzbeamter. Der Angriff fand am frühen Morgen statt. Antoni Paluch blieb vor Ort, ein zweiter Beamter floh nach Silna, um die Bevölkerung zu alarmieren. Paluch stellte sich dem Kampf und wurde getötet.
Es handelte sich wohl um einen lokalen Sabotageangriff. Außer in Zbaszyñ (Bentschen) fanden ähnliche größere Aktionen in der Nähe der Grenzorte Wierzebaum (Wierzbno) und Sterki (Sterke) statt. Einer der ersten polnischen Beamten, die verhaftet wurden, war der Bürgermeister von Miedzichowo (Kupferhammer), Stefan Sobera.
Nach der Verhaftung soll er in Tirschtiegel (Trzciel) gefangen gehalten und gefoltert und dann in ein Konzentrationslager verbracht worden sein, wo er sein Leben verloren haben soll. Es wird allerdings auch berichtet, er sei heimlich gefangengenommen und getötet worden. Jedenfalls verliert sich seine Spur in den ersten Septembertagen.

Ein anderes Schicksal ereilte einen polnischen Zollbeamten aus Miedzichowo, Wawrzyniec Markowski, der bis zum 1. September 1939 in Szklarka Trzcielska (Glashütte) Dienst tat. Er war preußischer Soldat gewesen, dann Teilnehmer am Groß-polnischen Aufstand und bis 1921 polnischer Soldat, danach im Zollwachkorps. Er konnte beim Vordringen der deutschen Truppen zunächst entkommen, wurde verhaftet, konnte aber aus der Haft in Miedzichowo entfliehen und war während der gesamten Kriegszeit untergetaucht.Seine Familie wurde zunächst in Lager und dann zur Zwangsarbeit nach Deutschland geschickt.Markowski überlebte den Krieg und arbeitete nach 1945 bis zu seiner Pensionierung für den Gemeinderat in Miedzichowo.

Es gibt viele solcher Geschichten von polnischen Grenzbeamten. Józef Zgliñski, Alojzy Mrozek, Franciszek Walczak arbeiteten an der Grenze zwischen Leszno und Fraustadt (Wschowa). Zgliñski überlebte den Krieg, obwohl er Kriegsgefangener und in den Lagern Zabikowo bei Posen und Groß Rosen in Niederschlesien inhaftiert war. Er starb 1976. Alojzy Mrozek wurde als Soldat der Heimatarmee 1944 verhaftet und im Lager Zabikowo ermordet. Franciszek Walczak starb wie Antoni Paluch während der Grenzkämpfe am frühen Morgen des 1. September 1939.

Anfang September 1939 gab es keine nennenswerten Militäraktionen. Allerdings kam es vom Frühjahr bis Ende August 1939, noch vor den ersten Schüssen in diesem Krieg, an der Grenze zu zahlreichen Sabotageangriffen und Provokationen.
Über solche von deutscher Seite in größerer Zahl in der Nähe des kleinen Orts Satopy (Santop, pow. Nowy Tomysl) berichtet uns in dem demnächst veröffentlichten Band Helena Przybylska in ihren Erinnerungen, ähnlich Józef Richter aus Wschowa Ereignisse in der Umgebung von Leszno.

Im Grenzgebiet bei Fraustadt organisierte Arthur Krämer, der Führer der Jungdeutschen Partei in Leszno, zugleich Agent der deutschen „Abwehr“, diese Aktivitäten. Seine Person, die Barbara Ratajewska 2019 anlässlich einer Tagung zum 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs in Ostrów Wkp. und Wschowa vorgestellt hat, zeigt beispielhaft das Schicksal vieler Deutscher seiner Generation auf der polnischen Seite der Grenze.
Geboren und aufgewachsen in der Provinz Posen, wurde er in der Zwischenkriegszeit unter dem Einfluss der deutschen Propaganda radikalisiert. Ende August 1939 floh er nach Fraustadt, von wo aus er in der Nacht vom 31. August auf den 1. September 1939 eine Sabotageaktion gegen die polnische Landesverteidigung leitete. Obwohl polnische Truppen diese Angriffe abwehrten und Krämer selbst verwundet wurde, beteiligte er sich im Oktober 1939 an der Erschießung von 20 Polen in Leszno. Nach dem Krieg gründete er ein privates Transportunternehmen in Halle (Saale), wurde aber verhaftet und den polnischen Behörden übergeben. Nach fünf Jahren Gefängnisaufenthalt in der DDR ging er in die Bundesrepublik Deutschland.





Die Diversionsaktivitäten wurden von den Behörden in Berlin detailliert geplant. Ihr Ziel war die Instrumentalisierung der deutschen Minderheit in Polen, die im Kreis Nowy Tomysl fast 19% der Bevölkerung ausmachte, das war nicht wenig. Neben zahlreichen deutschen Organisationen in Polen, die sich aktiv an Sabotage-, politischen und Propagandaaktivitäten des Dritten Reiches beteiligten, war die Flucht von Deutschen aus Polen im Sommer 1939 von Bedeutung. Die in den Posener Archiven aufbewahrten Dokumente nennen die Zahl von annähernd 2.500 polnischen Staatsbürgern deutscher Herkunft, die von März bis August 1939 aus Polen nach Deutschland ausgereist oder geflohen sind. Allein in der letzten August-Dekade sollen mehr als 260 Personen aus dem Kreis Nowy Tomysl Polen illegal verlassen haben, vor allem junge wehrpflichtige Männer.
Deutsche Organisationen versuchten, sie über die „grüne Grenze“ zu bringen. Waclaw Czuchwicki erwähnt in seiner Arbeit über die Geschichte des Dorfes Lomnica (Lomnitz) in der Nähe von Zbaszyn, daß von den aktiven Deutschen aus den umliegenden Dörfern unter anderem Fritz Leger, der örtliche Vorsitzende der „Jungdeutschen Partei“ in Nowy Tomysl, Arnold Schwudke aus Przychodzko (Deutschhöhe), Willi Drescher aus Lêczna (Lentschen), Fritz Rykow, ein Förster von Pradówka (Ziegelscheune), und ein gewisser Liedke aus Jastrzebsko (Friedenhorst) die Grenze illegal überschritten hätten.

Jan Kaczmarek aus Trzciel erinnerte sich 2009 an den Kriegsbeginn in Pradowka (Ziegelscheune), einer kleinen Holländersielung, die damals an der Grenze lag:
[...] Im September flohen wir nach Osten nach Krzywy Las [Krummwalde] bei Lwówek [Neustadt bei Pinne]. Die Großeltern hatten dort einen großen Bauernhof Bis die Deutschen kamen, blieben wir im Wald. Es gab hier keine Opfer, weil es außer den polnischen Grenzsoldaten keine Verteidiger gab. Mein Vater arbeitete vor dem Krieg bei der Eisenbahn, wir wohnten in einem Eisenbahnerhaus, aber die Deutschen warfen uns hinaus, und wir wohnten mit dem Hausherrn in einer Kammer für Landarbeiter. Dann bekamen wir eine andere Wohnung, und dort [in Pradówka - Anmerkung des Vf.] blieben wir bis 1945.
Vor dem Krieg gab es in Pradówka folgenden Fall: Ein dort lebender Fischer wurde von polnischen Grenzsoldaten erschossen, weil er wußte (und es gab hier viele Deutsche), daß er am Waffenschmuggel beteiligt war. Hier gab es an der Grenze einen katholischen Friedhof, und die Altstadt war katholisch, und angeblich entdeckten unsere Grenzwachen, daß die Deutschen statt der Verstorbenen auch Waffen auf die polnische Seite trugen. Später machten diese Deutschen sie auf dem Friedhof ausfindig. Aber es gab hier keine Kämpfe, weil es 1939 keine Front gab [...].



In Stara Jablonka (Alt Jablonke) erlebte Lucja Luczak den Kriegsbeginn:
[...] Ich erinnere mich gut, wie der Krieg ausbrach, ich war 12 Jahre alt. Hier auf dem Land nahe der Grenze gab es viele Familien von Grenzsoldaten: Serkowski, Paszke, Aftazjan, Kêpa, Cichy, Pietrowiak...
Eine Woche vor Ausbruch des Krieges war auch die polnische Armee hier, sie sprachen viel über den Krieg. Genau an der Grenze saßen diese Wachen in eigens gebauten Erdunterständen... Ich erinnere mich noch, wie Paszke zum Vater sagte, daß wir uns nicht mehr sehen würden, und sie gingen. Unerwartet kam eines Tages eine Nachbarin vorbei und sagte, daß wir bereits in Deutschland lebten, eine Glocke läutete im Dorf, und sie hängten die deutsche Flagge im Dorf auf. [...] Es gab einige polnische Familien in Jablonka – hauptsächlich Grenzsoldaten. Es gab auch Leute von außerhalb, sogar aus dem Gebiet von Bialystok, die flüchteten, bevor der Krieg ausbrach [...].

Größere bewaffnete Zwischenfälle ereigneten sich bereits am 1. September in Dormowo, wo Schüsse von polnischen Grenzsoldaten abgefeuert wurden, und in Zbaszyn. Hier kam es etwa um 2:00 Uhr morgens zu einem Angriff auf den Bahnhof und die Obra-Brücke, die, obwohl zur Sprengung vorbereitet, von Deutschen besetzt waren. Den polnischen Grenzsoldaten gelang es jedoch nicht, die Brücke in die Luft zu sprengen, da deutsche Diversanten den diensttuenden Pionier erschossen hatten. Der deutsche Grenzschutz nahm Zbaszyñ und Kopanica (Kopanitz) am frühen Morgen ein, aber noch am selben Tag eroberten polnische Grenztruppen Zbaszyn zurück, zogen sich dann aber nach Nowy Tomysl zurück. In Lomnica sollen drei deutsche Soldaten zusammen mit dem – der Überlieferung nach gegenüber Polen sehr arroganten – Buchhalter des Gutshofs namens Rau das Dorf nach polnischen Soldaten durchsucht haben.
Nach Waclaw Czuchwicki, der die diesbezüglichen Erinnerungen gesammelt hat, wurden die Deutschen von einer kleinen polnischen Militärabteilung überrascht und zogen sich zurück. Rau wurde, aufgrund des Urteils eines polnischen Standgerichts erschossen, nach anderen Überlieferungen durch den Schlag mit einem Gewehrkolben getötet. Er wurde auf dem örtlichen Friedhof beerdigt und später in seinen Heimatort überführt.

Stab der 14. Infanteriedivision 2.9.1939, 12:20 Uhr
Ausführlicher Befehl für Hauptmann Sawka
1. Allgemeine Lage und Gefechtslage, mündlich.
2. Aufgabe: Die 3. Komp. soll sich mit 2 Granatwerfern und 6 schweren LKW und 1 Personenwagen in die Region Opalenica begeben, wo sie die Verbindung mit Leutnant Polaczek aufnehmen und auf Nowy Tomysl vorstoßen, von dort aus auf Jastrzêbsko Stare. Nach Erledigung der Aufgabe ziehen Sie sich abhängig von der Lage über Lwowek - Pniewy (Pinne) nach Posen zurück. Aufbruch so schnell wie möglich. Verbindung über das Postamt Opalenica.
Kommandeur der 14. Infanteriedivision Wlad
[Franciszek – Ergänzung des Vf.] Brigadegeneral
[Handschriftliche Notiz - Dokument aus den Sammlungen des Museums in Zbaszyñ.]

Geyersdorf
Die Geschichte dreht sich zuweilen gerne im Kreise, sagt Marta Malkus. Wer hätte im September 1939 gedacht, daß die Stadt Fraustadt wenige Jahre danach in Polen liegen würde? Aber dazu bedurfte es zunächst des Weltkriegs.
Damals, am 2. September 1939, hoffte Polen, daß die Grenzkämpfe eine Reaktion bei den Briten und Franzosen auslösen würden, und weckten am 3. September bei den seit zwei Tagen kämpfenden Polen für kurze Zeit Hoffnungen. Die leicht beschädigte Gedenktafel auf einem großen Felsblock an der Straße von Leszno nach Wschowa fällt kaum noch auf. Von Zeit zu Zeit räumt hier jemand auf, aber wenn ich am Denkmal vorbeischaue, kann man abgebrannte Kerzen und vertrocknete Blumen sehen. – Am 1. September werden die Blumen frisch sein, und die Kerzen werden brennen. So ist es in jedem Jahr, und danach schaut eher niemand mehr vorbei. – Auf der Tafel, die an die Kämpfe in der Umgebung Fraustadts erinnert, ist zu lesen:

Am 22. Jahrestag des Angriffs der deutschen Faschisten auf Polen den heldenhaften Soldaten des 55. Infanterieregiments aus Poznan und des 17. Großpolnischen Ulanenregiments aus Leszno zum Gedenken an die Kämpfe am 2. September 1939 bei Wschowa und Leszno (Lissa) in Ehrerbietung die Gesellschaft des Fraustädter und des Lissaer Landes. Aktualisiert am 1. September 1994.

Die Gedenktafel wurde auf Initiative des „Zwiazek Bojowników o Wolnosc i Demokracje“ (ZBoWiD = Bund der Kämpfer für Freiheit und Demokratie) errichtet und am 10. September 1961 enthüllt. 2017 wurde der gekrönte Adler auf der Gedenktafel ergänzt.

Am 1. September 1939 wurde Leszno (Lissa) vom Kreis Fraustadt aus beschossen. Das aktivierte deutsche Diversanten, de facto Deutsche, die auf der polnischen Seite der Grenze lebten. Nach der morgendlichen Erkundung erhielt General Roman Abraham, der die polnischen Truppen in diesem Abschnitt führte, den Befehl, in Richtung Fraustadt anzugreifen und die Stadt unter Beschuss zu nehmen. Kleine polnische Einheiten mit rund 300 Soldaten schlugen den Weg in Richtung auf das Dorf Geyersdorf (Debowa Leka) ein, eroberten dort den Wachturm des deutschen Grenzschutzes und richteten danach Artilleriefeuer auf Fraustadt.
Der Angriff verursachte Panik in der Stadt und die Evakuierung der Bevölkerung und der Behörden, wurde er doch als polnische Offensive auf Glogau (Glogów) gesehen. Die polnischen Einheiten zogen sich schnell nach Leszno zurück und kämpften gegen lokale Saboteure und Abteilungen des deutschen Grenzschutzes. Am Rande eines Wegs in Swieciechowa (Schwetzkau) jubelte eine Gruppe von Deutschen, die die polnischen Soldaten für eine Einheit der Deutschen Wehrmacht hielten, die nach Polen einmarschierte. Einige von ihnen wurden verhaftet. Bereits am 4. September marschierten die deutschen Truppen schließlich in Leszno ein. Nach der Einstellung der Kämpfe wurde in Fraustadt in der Pfarrkirche eine Propaganda-Trauerfeier für die Opfer der Beschießung durch polnische Truppen veranstaltet.

Hauptmann Edmund Lesisz, neben Leutnant Wladyslaw Konwinsk einer der Anführer der polnischen Gruppe, die im Septemberfeldzug den einzigen polnischen Gegenangriff auf deutsches Gebiet ausführte, wurde von der Gestapo identifiziert, aus dem Kriegsgefangenenlager Murnau (Bayern) nach Lodz verbracht und dort erschossen.
Während des Krieges wurden auch seine beiden Brüder ermordet: Leutnant Edward Lesisz in Katyn (Russland) und Leutnant Feliks Lesisz in Charkow (Ukraine). Wladyslaw Konwiñski hat den Krieg überlebt. Nach der Befreiung Murnaus schloss er sich den polnischen Streitkräften im Westen am. 1947 kam er nach Polen zurück und arbeitete in Leszno als Lehrer an der Wirtschaftsfachschule.

Am 3. September besetzten 16 Wehrmachtssoldaten mit einem schweren Gewehr Obra (Kreis Wolsztyn). Vom 6. bis 7. September 1939 besetzten deutsche Truppen Wolsztyn. Zuvor flohen viele Polen aus den umliegenden Ortschaften, kehrten jedoch wegen ihres zurückgelassenen Inventars, aber auch wegen der militärischen Verteidigungsmaßnahmen mit der Zerstörung von Eisenbahnanlagen und Brücken schnell wieder zurück.
Die Flucht in den ersten Septembertagen ist eines der am häufigsten wiederholten Motive in Erinnerungen und historischen Studien. Auch in Lomnica, das zahlreiche Einwohner in Richtung Posen verließen, brach Panik aus, aber auch hier kehrten sie nach kurzer Zeit wieder zurück.

Das Phänomen der Flucht in Gebiete weit östlich der Grenze findet sich in vielen Berichten aus dem gesamten Grenzgebiet. Interessanterweise suchte auch ein Teil der deutschen Bevölkerung im Wissen um den herannahenden Krieg noch in den letzten Augusttagen auf der westlichen Seite der Grenze Schutz, und dies gilt nicht nur für die geplante Flucht von jungen Deutschen vor der Einberufung in die polnische Armee.
Den Familien polnischer Beamter, Lehrer und Militärangehöriger wurde bereits im August 1939 empfohlen, die Grenzregion zu verlassen. Es war bekannt, daß diese Gruppe im Fall der Besetzung durch deutsche Soldaten verfolgt werden würde.
Unter den Erinnerungen aus dieser Region findet sich der Bericht über eine Lokomotive, die einen Haken zog, um die Eisenbahnschwellen herauszureißen. Die Erinnerungen aus der Gegend um Wolsztyn enthalten Berichte über Morde und Verhaftungen von Polen, obwohl es hier keine größeren Kampfhandlungen gab.




Die Gräber in Silna und in Trzciel
Die Persönlichkeit Antoni Paluchs, an die in Radiosendung „Die Grenze“ erinnert wurde, ist heute ein Symbol dieser Grenze. Paluch selbst wurde zusammen mit einem erschossenen Deutschen, Richard Albert Gustav aus Schermeisel (Trzemeszno) beerdigt: Sie ruhten gemeinsam in Silna (Schilln). Erst Jahre später wurde Antoni Paluch exhumiert und in Trzciel begraben, wo bis heute seine Grabstätte ist.
Am 22. Juli 2020 veröffentlichte Andrzej Chmielewski einen Forschungsbericht des Posener Vereins „POMOST“, der sich mit der Exhumierung von Gräbern deutscher Soldaten befasst. Dieses Mal wurde in Silna das Grab untersucht, in dem Antoni Paluch und ein deutscher Soldat begraben sein sollten. Neben der Leiche eines deutschen Soldaten wurden die Leiche eines polnischen Soldaten und Reste einer Uniform, wie sie polnische Soldaten im September 1939 getragen haben, gefunden. Aber ist es Antoni Paluch?

Jemand schrieb in einem Kommentar:
Vielleicht gibt es in Trzciel nur eine Gedenktafel, und die Überreste des polnischen Grenzsoldaten sind in Silna geblieben?
Andrzej Chmielewski kommentierte die lebhafte Diskussion, die diese wichtige Entdeckung auslöste:
Leider wurde in dem polnischen Grab kein Unsterblicher gefunden. Es wurde wahrscheinlich 1939 von den Deutschen erobert, aber andere Artefakte könnten darauf hindeuten, daß es ein Grenzsoldat gewesen ist [...]. Das Grab in Trzciel sollte geöffnet werden. Wenn es nicht Paluch ist, könnte es ein anderer Grenzwächter gewesen sein, der sich z.B. in Silna gemeldet hat, um die nächste Wache zu übernehmen, oder vielleicht ein Soldat des polnischen Heeres, vielleicht auf Urlaub [...].

Dieses Vorkommnis lässt uns fragen, was wir über die Vergangenheit des Grenzgebiets wissen und was nicht. Wir werden sehen, was die weiteren Forschungen von POMOST in diesem Fall bringen werden... Und doch. Diese Geschichte hat ihre Fortsetzung.

Am 9. September 2020 gab es eine weitere Sensation: Es gibt keine sterblichen Überreste im Grab im Trzciel. Und wieder veröffentlichte Andrzej Chmielewski einen Post:
[...] Im Juli dieses Jahres hat die Historische und Archäologische Forschungstelle „POMOST“ auf dem Pfarrfriedhof in Silna Exhumierungsarbeiten am Grab eines deutschen Soldaten durchgeführt, über die ich bereits geschrieben habe [...].
Nach den im Pfarrbüro erhaltenen Informationen ordnete die Familie um 1990 die Exhumierung der sterblichen Überreste Antoni Paluchs und deren Überführung auf den Friedhof von Trzciel an. Es stellte sich jedoch heraus, daß neben dem deutschen Soldaten immer noch ein polnischer Grenzsoldat lag. Nur ein Grabstein aus Beton und Erde aus dem Grab wurden auf den Friedhof von Trzciel gebracht.
Die Familie Antoni Paluchs wurde bereits über die Entdeckung informiert. Um weitere Informationen zu diesem Thema zu erlangen, haben das „Instytut Pamiêci Narodowej” [Instituts des Nationalen Gedenkens] und das Wojewodschaftsamt der Wojewodschaft Lebuser Land formal aktiv geworden. Gemeinsam mit der Familie wird eine Entscheidung über die Ruhestätte des polnischen Soldaten zu treffen sein. In dieser Situation bin ich der Meinung, daß der Held und eines der ersten Opfer vom September 1939 mit einer neuen Gedenktafel mit einem entsprechenden Vermerk geehrt werden sollte [...].
Am selben Tag wandte sich der „Geschichtsverein für das Meseritzer Land“ (Towarzystwo Historyczne Ziemi Miêdzyrzeckiej) schriftlich an die Verwaltung der Gemeinde Pszczew mit der Bitte um eine angemessene Ehrung Paluchs und der sterblichen Überreste des Helden auf dem Friedhof in Silna. Jetzt hängt alles von der Familie ab...




Am Grenzübergang hält Antoni Paluch immer noch Wache... Vor einigen Jahren wurden auf Initiative des Försters Jaroslaw Szalata aus Pszczew an der Stelle des früheren Grenzübergangs eine Holzfigur Paluchs und eine Kopie des Grenzsteins von Versailles neben den Ruinen des Wachgebäudes aufgestellt. Eine Gedenktafel mit der Ortsgeschichte und einer Erinnerung an Paluch wurde aufgestellt. Aus Anlass des 80. Jahrestages des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs fanden Feierlichkeiten statt, die von Förstern des Forstreviers Bolewice (Bolewitz) organisiert wurden und an denen die Enkelin Antoni Paluchs teilgenommen hat.

Dabrówka Wlkp / Groß Dammer
Dabrówka / Gross Dammer, ein Dorf, in dem 90% der Bevölkerung Polen waren blieb unter Preußen und Deutschland ein Dorf, in dem sich sogar der dort seit 1923 amtierende deutsche Pfarrer Leo Binder, polonisierte, wofür er zusammen mit polnischen Aktivisten 1939 für sechs Jahre in den Konzentrationslagern Oranienburg und Dachau einsitzen musste.
Anlass für die Verhaftung des Pfarrers war das Lied „Chwala i dziekczynienie“ [Herrlichkeit und Danksagung], das er in polnischer Sprache während der Sonntagsmesse am 3. September 1939 singen ließ. Binder (geboren 1876 in Kalau), überlebte den Krieg und kehrte nach Dabrówka Wlkp. zurück, wo er am 28. Januar 1952 verstarb. Nach dem Krieg verliehen die polnischen Behörden diesem deutschen Pfarrer die polnische Ehrenbürgerschaft. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Dabrówka Wlkp. neben dem Denkmal mit den Namen der in den Jahren 1939 bis 1945 gefallenen, ermordeten und vermissten Polen aus dem Dorf. Die Gedenktafel listet 75 Personen auf.
Hier im Grenzgebiet gibt es noch mehr solcher Gedenktafeln... In Chrosnica (Kroschnitz) wurde für die polnischen Opfer der deutschen Besatzung eine Glocke gegossen. Die Namen der Gefallenen und Ermordeten wurden auf der im Glockenturm angebrachte Gedenktafel verzeichnet. Waclaw Czuchwicki hat Dutzende dieser Menschen aus der Umgebung von Zbaszyñ (Bentschen) und ihre Geschichten aufgeschrieben.



Literatur und Quellen (Auswahl)

Archiwum II Wojny Swiatowej [Archiv des Zweiten Weltkriegs], Documenta Occupationis, Instytut Zachodni w Poznaniu.

Zbiory Fotografii [Fotosammlung], Narodowe Archiwum Cyfrowe w Warszawie (NAC).

Zbiory dokumentów [Dokumentensammlung], Muzeum w Zbaszyniu.

Czuchwicki, W.: Ziemia Zbaska i jej okolice [Das Bentschener Land und seine Umgebung], Zbaszyñ 2003.

Gmina Miedzichowo na szlakach dziejów [Die Gemeinde Kupferhammer auf den Wegen der Geschichte], Hrsg.: M. Tureczek, Miedzichowo-Zielona Góra 2018.

Ratajewska, Barbara / Dariusz Czwojdrak: Pogranicze leszczyñsko-wschowskie 1939.
Jed-nodniówka wydana z okazji 80 Rocznicy wypadu wojska polskiego z Leszna pod Wschowê [Das Grenzgebiet zwischen Lissa und Fraustadt. Anlässlich des 80. Jahrestags des Angriffs des polnischen Heeres aus Leszno auf Fraustadt], Wschowa 2019.

Trzciel – studia z dziejów miasta [Tirschtiegel – Studien zur Stadtgeschichte],
Hrsg. M. Tureczek, Trzciel – Zielona Góra 2009.

Wawrzynowicz, K.: Obra. Zarys dziejów [Obra. Überblick über die Geschichte], Wolsztyn 2007.


Fußnote:
Die Namen der Orte in der Region, die nach der Grenzziehung von 1920 in Polen lagen, werden in der polnischen Namensform wiedergegeben, die Ortsnamen auf der deutschen Seite der durch den Friedensvertrag von Versailles gezogenen Grenze in der deutschen.
– Die Wiedergabe diakritischer Zeichen in polnischen Personen- und Ortsnamen muss aus technischen Gründen leider entfallen.