Eine Puppengeschichte
Von Barbara Weber


Wenn die Bärbel doch erzählen könnte!
Damit meine ich die alte Berliner Puppe, die meinen Namen trägt. Wer ist eigentlich älter? Ich bin Jahrgang 1928 und stamme aus der nach dem Ersten Weltkrieg geschaffenen Grenzmark Posen- Westpreußen. Eindeutig ist die Heimat der Puppe Berlin. Vielleicht ist unser Geburtsjahr identisch? Was ich mit Gewißheit sagen kann, will ich aufschreiben.

1945 war der verheerende 2. Weltkrieg zu Ende. Wir 7 Personen: Onkel, Tante, Mutti und 4 Kinder besaßen nach der Vertreibung aus der Heimat nur die Dinge, die wir auf dem Handwagen mitnehmen konnten.
Im Sommer 1945 fanden wir in Steinhöfel bei Fürstenwalde /Spree eine Notunterkunft. Der Onkel fand in der Getreidemühle eine Anstellung und erhielt Mehl als Deputat. Wir anderen gingen Kartoffeln hacken und erhielten Kartoffeln als Arbeitslohn. Somit war für unsere Lebensgrundlage gesorgt.

Die hungernden Stadtbewohner kamen mit Haushaltsgegenständen in die Dörfer, um diese gegen Lebensmittel einzutauschen. Durch diesen Tauschhandel erhielten wir die notwendigen Töpfe, Tassen, Teller und dergleichen.
Wer diese Zeit erlebt hat, vergißt sie in seinem ganzen Leben nicht mehr. Schwere Krankheiten, wie Typhus, Diphterie und Krätze breiteten sich in allen Familien aus. Dazu nahmen die Läuse überhand.
Weihnachten rückte näher. An Geschenke wie in der Heimat war nicht zu denken. Doch ein Wunder geschah. Am Tag vor Weihnachten, am 23. Dezember 1946, kam eine Berlinerin mit einer großen Puppe, die sie zum Tausch gegen Mehl und Kartoffeln anbot.
Mutti dachte sofort an Marianne, die damals 8 Jahre alt war. Wir alle fühlten uns beglückt. Dieses Weihnachtsgeschenk war ein Geschenk des Himmels  eine echte Weihnachtsfreude für uns alle. Mit zunehmendem Alter ging das Interesse an der Puppe und den dazu gehörenden Puppenspielen verloren. Das liegt in der Natur der Sache. Ich verschenkte die Puppe in den 50ger Jahren an den Kindergarten in Berkenbrück, wo Mutti und ich inzwischen lebten. Dort löste die schöne große Puppe viel Freude aus.

Von meiner Freundin Ruth erfuhr ich, wie die Geschichte weiterging. Ich hatte mit meiner Mutti die DDR aus politischen Gründen 1961 verlassen. Viele Kinderhände hatten ihre Spuren an der Puppe hinterlassen, so dass Freundin Ruth sie rettete und in Verwahrung nahm. Sie ließ lädierte Stellen reparieren und präsentierte sie in ihrer Wohnung.
Ich besuchte Ruth und die Puppe nach der Wende im Spreewald. Als meine Freundin nun mit 95 Jahren verstarb, erhielt ich die Puppe zurück. Ich überlegte, wo sie weiterhin Freude bereiten könnte.
Meine Schwester Evchen hat keine Erinnerungen an die Puppe mehr. Doch weiß sie, daß wir der an Typhus erkrankten Mutti das Tannenbäumchen mit den bunten Papierstreifen ans Bett brachten. Marianne kann ich nicht mehr fragen, denn sie verstarb bereits vor 7 Jahren.

In mir tauchen Fragen auf:
Mußte die Puppe weggegeben werden, damit die Familie sich zu Weihnachten einmal satt essen konnte? Gibt es noch jemanden, der sich an diese Geschichte erinnert? Wunder gibt es immer wieder!

Barbara Weber, 2019