Ein Ortsbuch für den Kreis Meseritz
Dr. Wolfgang Kessler


Der Kreis Meseritz umfasste vor der Teilung in der Folge des Ersten Weltkriegs fünf Städte, 85 Landgemeinden und, 1928 in Preußen und in Polen aufgelöst, 111 Gutsbezirke. Während die Städte vergleichsweise gut durch Nachschlagewerke erschlossen werden, fehlen für die Dörfer Darstellungen in den Nachschlagwerken vom klassischen Lexikon bis hin zur deutschsprachigen Wikipedia im Internet.
Die beiden Bände des Heimatbuchs (1972/74) behandeln nur ausgewählte größere Dörfer, für die überwiegende Zahl der kleinen Ortschaften des Kreises, ganz besonders aber für den 1920 durch den Vertrag von Versailles an Polen abgetretenen Kreisteil fehlt ein Nachschlagewerk, das systematisch sämtliche Orte und Wohnplätze des Kreises Meseritz in seinen 1818 gezogenen historischen Grenzen dokumentiert.
Nur zu den Städten und zu den wenigen überregional bedeutenden Orten wie Paradies sind Informationen zu Geschichte und Kulturgeschichte ohne weiteres zugänglich, für kleine Dörfer und Wohnplätze liegen oft nur Angaben aus Ortsverzeichnissen, Adressbüchern u. ä. vor. Zusätzliche Informationen bietet die sich seit 1990 für den Kreis Meseritz stark entwickelte polnische Regionalforschung, die aber den deutschsprachigen Leserinnen und Lesern nicht ohne weiteres zugänglich sind.

Heimatfreund Franz Marowski, Berlin hat durch großzügige Förderung die Erstellung eines Ortsbuches für den Kreis Meseritz in seinen Grenzen vor 1914 ermöglicht. Es wird unter Berücksichtigung deutscher und polnischer Quellen mehr als 200 Artikel mit folgender Gliederung enthalten:
  • Die wichtigsten Daten zur Verwaltungsgeschichte, vor allem zur politischen Zugehörigkeit.
  • Einen Abriss der Geschichte und Kulturgeschichte bis 1945, soweit möglich.
  • Hinweise auf die Nachkriegsentwicklung.
  • Hinweise auf kultur- und baugeschichtlich wichtige Objekte.
  • Die wichtigste Literatur in deutscher und in polnischer Sprache.

Für kleine Wohnplätze mit wenigen Einwohnern und für viele Gutsbezirke werden nur wenige Daten genannt werden können. Trotzdem sind sie der Erinnerung wert. Die Ortsartikel sollen zunächst auf der Webseite des Heimatkreises Meseritz publiziert, teilweise auch im „Heimatgruß“ abgedruckt werden. Sobald sie komplett vorliegen, werden sie in einem Buch zusammengefasst, das nach mehr als einem halben Jahrhundert das Heimatbuch ergänzt und aktualisiert.

Als Musterbeitrag wird hier der Artikel über »Punken« abgebildet. Ergänzungen und Anregungen sind jederzeit willkommen.
.

Punken (poln. Pachy)

1939-1945: Seefeld, Kreis Grätz (Wartheland), 7 km nordwestlich von Miedzichowo (Kupferhammer) im Pszczewski Park Krajobrazowy (Betscher Landschaftspark); Slownik Geograficzny Królestwa polskiego i innych krajów slowianskich 7 (1886), S. 227: Pachowskie Holendry Bis 1793 Kreis Posen, Wojewodschaft Posen, 1793-1807: Kreis Meseritz, Provinz Südpreussen; 1807-1815 Herzogtum Warschau, 1815-1919/20 Kreis Meseritz, Regierungsbezirk Posen, Großherzogtum (1848: Provinz) Posen, 1912: Amtsgericht Tirschtiegel, Bezirkskommando Neutomischel, Standesamt Lowin, Polizeidistrikt Betsche, Post Lewitz Hauland. – 1920: Pachy , pow. Nowy Tomysl, woj. poznanskie; 1939-1945: Seefeld, Kreis Grätz (Wartheland), Reichsgau Posen (Wartheland); 1945: Pachy, pow. Nowy Tomysl>, woj. poznanskie; 1975: woj. gorzówskie; 1999: gmina Miedzichowo, pow. Nowy Tomysl, woj. wielkopolskie. – 7 km nordwestlich von Miedzichowo (Kupferhammer), 7 km nordöstlich von Trzciel (Tirschtiegel) . – Katholische Kirchengemeinde bis 1920: Betsche, ab 1920 Lowin (Lowyn), evangelische Kirchengemeinde Lewiczynek (Lewitz-Hauland).

Die Holländerei (oder Hauländerei) Punken wurde 1743 zugleich mit Neuschilln auf Veranlassung des Posener Bischofs Fürst Theodor Czartoryjski zugleich mit Neu-schilln auf dem Gebiet des alten Dorfes Schillen angelegt, das zu dem „Betscher Schlüssel“ gehörte, einem Landbesitz des Bischofs.
Die in Betsche erlassene „Willkür“ regelte in 24 Punkten die Rechte und Pflichten der einem Schulzen unterstellten Siedler (Hielscher 1989b, Korenda 2006). Die Siedler, die „Holländer“ oder „Hauländer“ mussten das meist sumpfige Land urbar machen und ihre Höfe errichten. Nach sieben Freijahren hatten sie einen Geldzins zu zahlen, waren aber ansonsten von Diensten und Ablieferungen frei und durften ihre inneren Angelegenheiten selbst regeln.
Im Unterschied zu den meisten anderen, von adligen Grundherrn gegründeten Holländereien siedelte der Bischof in Punken mit insgesamt 1088 ha Grund, davon 802 ha Acker, nur katholische Siedler an. Sie kamen aus den Dörfern der Zisterzienserklöster Paradies und Blesen (Hielscher 1989a). Ihre Namen waren überwiegend deutschsprachig, die nationale Zuordnung ist nicht eindeutig (Korenda 2006).

Im 19. Jahrhundert finden wir auch Siedler mit evangelischem Bekenntnis. Die Besitzgröße betrug, offensichtlich in Abhängigkeit von der gezahlten Ablösung, überwiegend zwischen 10 und 20 ha, die mittlere Größe betrug 18,6 ha (Kwasniewski 2011). Die Siedlung mit ihren verstreut angelegten Gehöften entwickelte sich in zwei Teilen: dem Unterland mit 25 ha Wiesen und dem Punkener See und dem Oberland ohne Wiesen, dafür mit besserem Boden.
1846 zählte Punken in 40 Häusern 259 Einwohner. 1895 verzeichnet das Ortsverzeichnis 41 Haushaltungen mit 319 deutsch sprechenden Einwohnern, davon 263 katholisch (zur Pfarrei Betsche) und 56 evangelische (zu Lewitz Hauland). Das zuständige Standesamt war in Lowin, der Sitz des Polizeidistrikts war Betsche. Vor dem Ersten Weltkrieg gehörten die Waldungen zum Besitz der Familie Fischer von Mollard (Tirschtiegel), hier steht seit 1888 der von Ernst [Gotthelf] Fischer von Mollard errichtete Marienturm, heute im Besitz des Forstbezirks Bolewice (Bolewitz).

Nach der Grenzziehung durch den Versailler Vertrag lag Punken auf der polnischen Seite der Grenze. Unter dem Namen Pachy wurde es dem Kreis Nowy Tomysl zugeordnet. Ein großer Teil der Bauern optierte für Deutschland und verließ deshalb Polen. Polnische Siedler traten an ihre Stelle, an die Stelle des beim Deutschen Reich verbliebenen Betsche wurde Lowin (Lowyn, 1920 aus dem Kreis Meseritz zum Kreis Miêdzychód), wo ausschließlich polnischen gepredigt wurde, Pfarrort für die Katholiken des Oberlandes, das Unterland dagegen nach Schilln (Silna) eingepfarrt. Die Höfe der Optanten übernahmen polnische Siedler.
Mit der Bildung des Reichsgaus Posen (später Wartheland) wurde Punken dem Kreis Grätz (Wartheland) unterstellt. Die polnischen Neusiedler wurden überwiegend in das Generalgouvernement „ausgesiedelt“, einige zur Zwangsarbeit im Deutschen Reich gezwungen. An ihre Stelle kamen „volksdeutsche Umsiedler“.
Der erst am späten Abend des 20. Januar 1945 vom Kreisleiter der NSDAP erteilte Räumungsbefehl wurde nur unvollständig befolgt. Beim Einmarsch der Roten Armee sollen noch 248 Deutsche, fast ausschließlich Frauen und Kinder, sich noch im Dorf aufgehalten haben. Davon haben nach Hielscher (1989a) 218 überlebt.

1945 kam Punken als Pachy wieder zu Polen, zum Kreis Nowy Tomysl. Die verbleibenen Deutschen wurden „ausgesiedelt“. Die verlassenen Gehöfte übernahmen vielfach in der Umgebung von Betsche eingesetzte polnische Zwangsarbeiter. Nach der Auflösung der Kreise 1974 unterstand der Ort bis 1998 der Wojewodschaft Gorzów, 1999 wurde er als Siedlung (osiedle) der gmina Miedzichowo (Kupferhammer) im powiat Nowy Tomysl (Wojewodschaft Wielkopolska) unterstellt. Heute sind die Landwirtschaften aufgegeben worden, an ihre Stelle ist vielfach wieder Wald getreten. 2011 wurden nur noch 19 Einwohner gezählt.
Die erhaltenen Gehöfte werden (Stand 2022) vielfach als Ferienhäuser angeboten.




Einwohnerverzeichnis
GEBAUER, ERHARD / FRANZ MAROWSKI / HELMUT KAHL:
Heimatdorf Punken, Kreis Meseritz, ab 1919 Kreis Neutomischel. – In: Heimatgruß 193, 2010, S. 14-15. – Unvollständig.


Benutzte Literatur
Gmina Miedzichowo na szlakach dziejów [Die Gemeinde Kupferhammer auf den Wegen der Geschichte] / red. naukowa MARCELI TURECZEK. Miedzichowo; Zielona Góra 2018. 169 S. – Enth. S. 24 eine Übersicht der Archivalien zu Punken.

Hielscher 1989a = HIELSCHER, ALEXANDER KARL: Die Holländereien Neuschilln und Punken. – In: Der Kulturwart 37 (1989) 3 (=176), S. 19-23.

Hielscher 1989b = HIELSCHER, ALEXANDER KARL: Die Willkür von Punken. –
In: Der Kulturwart 37 (1989) 4 (=177), S. 1-10.

Hielscher 1998 = HIELSCHER, ALEXANDER KARL: Neuschilln und Punken. –
In: KRAFT, ARNO: ... und dazwischen Neutomischel. Deutsche im ehemaligen Kreise Neutomischel (Nowy Tomysl). Berlin 1998, S. 162-168.

Kahl 2010 = KAHL, HELMUT: Ich möchte noch einmal die Heimat sehen. Reise nach 42 Jahren nach Punken (Unsere alte Heimat heute). – In: Heimatgruß 193, 2010, S. 15-16

Korenda 2006 = KORENDA, KAROLINA: Przyczynek do badan skladu narodowosciowego osad olêderskich od XVIII do polowy XIX wieku na przykladzie Pachenskich i Nowosilenskich Olêdrów [Die Hauländereien Nowosilenskie Olêdry und Pachenskie Olêdry. Ein Beitrag zur Erforschung des Nationalitätenverhältnisses in Hauländerein vom 18. bis zur Mitte des 19. Jh.s (1743-1850)]. – In: Ziemia Miêdzyrzecka. Fragmenty z dziejów. Miêdzyrzecz 2006, S. 125- 130.

Kwasniewski 2011 = KWASNIEWSKI, MICHAL: Próba rekonstrukcji wielkosci gospo-darstw w Nowosilenskich i Pachenskich Olêdrach w l atach 1743-1793 [Versuch der Rekonstruktion der Größe der Bauernwirtschaften in Seefeld und Neu Schilln-Hauland] – In: Ziemia Miêdzyrzecka w przeszlosci 9 (2011), S. 37-45.

Rutkiewicz = RUTKIEWICZ, MALGORZATA: Nazwy terenowe i miejscowe w gminie Miedzichowo (woj. gorzowskie).Poznan 1997. 220 S. (Poznanskie Studia Polonistyczne / Seria Jêzykoznawcza / Biblioteczka; 3). – S. 191-192 Summary: Place and local names in the Miedzichowo commune. – S. 181-184: Pachy. – Verzeichnet die polnischen Flurnamen in Pachy.

Schubert / Zagun = SCHUBERT, TOMASZ / WANDA ZAGUN (Hg.): O olêdrach z Nowej Silnej i Pachów [Über die Hauländereien in Neu Schilln und Punken.].
Pszczew 2007. 52 S.