Ein Spaziergang durch Betsche
Text und Fotos: Irene Goltz


Betsche, ehemalige evangelische KircheOft bin ich über längere Zeiträume in Betsche / Pszczew. Je älter man wird, desto tiefer reichen die Wurzeln. Immer nehme ich mir Zeit, um in unserer schönen Umgebung (Wälder, Felder, Seen) herumzuwandern.

Ständig bin ich auf dem katholischen Friedhof, pflege die Gräber meiner Eltern und Großeltern, finde Ruheplätze alter Bekannter. Gern laufe ich die Kastanienallee entlang und komme zum evangelischen Friedhof. Er liegt südlich, Richtung Schilln /Silna. Bewachsen von hohen Bäumen, aber von Gräbern keine Spur. Ein Gedenkstein am Wegesrand weckt Erinnerungen.
Die Initiative kam von Erich Morlok, der leider schon verstorben ist, und meiner Schwester Wanda Strozczynska geb. Goltz, wohnhaft in Pszczew.
Ich kehre um. Am anderen Ende der Kastanienallee stand die evangelische Kirche, gegenüber dem Gutshaus der Familie Graf zu Dohna, die Anfang des Jahres 1945 flüchtete.
Die Kirche war ein prächtiger Klinkerbau mit einem sehr hohen Turm. Leider wurde sie Mitte der 60er Jahre abgerissen. Die wertvollen Steine verschwanden. Nun stehen dort zwei Mietshäuser und davor ein Gedenkstein mit einer Informationsstafel.


Betsche, Gedenksteinevangelischer Friedhof

Es geht weiter zum Tirschtiegeler Weg. Dort links sieht man den jüdischen Friedhof. Auch hier wachsen noch die alten Bäume. Am Straßenrand steht ein Stein mit dem Judenstern und der Aufschrift:

Cmentarz zydowski
1730 – 1939
Jüdischer Friedhof

Vor einigen Jahren besuchte Herr Leonhard Deutschkron Pszczew. Er ist in Betsche geboren und in Meseritz zur Schule gegangen. Vor den Nazis flüchtete er nach Israel, seine Mutter ist in Auschwitz umgekommen, Unterkunft fand er mit seiner Frau immer bei meiner Schwester.
Seine Spaziergänge endeten am jüdischen Friedhof, wo er innehielt und so manche Träne vergoß. Spuren seiner Vorfahren fand er nicht. Von ihm kam die Idee, auch hier ein Zeichen des Gedenkens zu hinterlassen. Feierlich wurde der genannte Stein eingeweiht. Gefundene Bruchstücke kamen dazu.

Betsche, Gedenksteinevangelischer Friedhof

Herr Deutschkron hielt bei der Einweihungsfeier eine kurze Ansprache auf Aramäisch (die Sprache von Jesus) und Deutsch. Meine Schwester übersetzte sie ins Polnische. Die Jahre sind vergangen. Die Inschriften waren kaum noch lesbar. Ich habe sie mit Goldfarbe nachgezogen und kümmere mich um diesen Ort. Durch Zufall wurden inzwischen noch einige Teile von Grabsteinen gefunden. Diese habe ich vom Betscher Steinmetz, Herrn Makowski, säubern lassen. Mühsam entzifferte Schrift wurde auch mit Goldfarbe erneuert.
Auf einem Teil steht der Name „Deutschkron“, auf einem anderen „ruhe sanft“. Das hat Herr Deutschkron leider nicht mehr erlebt.

Frau Inge Deutschkron, die Cousine von Herrn Leonhard, wohnt in Berlin und kam in Begleitung nach Betsche /Pszczew. Mit Freude erkannte sie in dem Museum am Markt ihre Verwandten auf Bildern.
Sie besuchte auch die Gedenkstätte am jüdischen Friedhof. Sehr beruhigt und zufrieden kehrte sie nach Berlin zurück, denn nun kennt sie den Geburtsort ihres Vaters und auch die Häuser, in denen ein Teil der Familie wohnte.

Die Person Inge Deutschkron ist in Berlin sehr bekannt. Während des Krieges lebte sie immer in Verstecken, arbeitete bei dem deutschen Besitzer einer Bürstenfabrik, der ein gutes Versteck für seine jüdischen Mitarbeiter eingerichtet hatte.
Darüber wurde auch ein Spielfilm gedreht. Sie schrieb eine Autobiographie: „Ab heute heißt du Sara“. Aus diesem Buch wurde auch ein Theaterstück, das im Berliner Gripstheater jahrelang mit sehr großem Erfolg aufgeführt wurde. Bei wichtigen politischen Veranstaltungen war sie immer dabei, sprach im Parlament und wurde in Schulen eingeladen.

Geht man zurück zur Meseritzer Straße, kommt man zum Kulkauer Weg. Vor der großen Kapelle liegen napoleonische Soldaten begraben. Stark geschwächt und ausgehungert starben sie auf dem Heimweg nach Frankreich. Napoleon war der Verlierer im Krieg um Russland. Auch diese Stelle besuche ich. Es gibt dort einen Stein mit Figuren.
Jeden Sommer kommen viele Touristen nach Pszczew. Sie interessieren sich für die Geschichte unseres Städtchens und fotografieren. Am Tag von Allerheiligen (1. November, ein Feiertag bei uns) brennen an allen Gedenkstätten Kerzen.