Das Krankenhaus in Obrawalde feiert den 115. Geburtstag. Die Heilanstalt hat eine merkwürdige Geschichte…
Text: Gazeta Lubuska - Photos v. L. Wabinski

Am 2. November 1904 wurde die „4. Posener Provinzial-Irrenanstalt Obrawalde bei Meseritz“ eröffnet. Es war ein schöner Herbsttag, als eine Delegation von Beamten aus Meseritz und Posen nach Obrawalde angefahren kam. Alles war nagelneu und frisch. Die wunderschönen Gebäude aus gelben Ziegelsteinen mit grünen Ornamenten sollten in der Zukunft Zeugen zweier Weltkriege, der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens, der kommunistischen Ära, der Gründung von „Solidarnosc“ und der Wiedervereinigung Deutschlands werden.

Anzeige700 neue Betten, hochqualifizierte Ärzte und das Pflegepersonal hatten damals auf psychisch kranke Patienten gewartet. Bald sollten weitere 500 Betten dazukommen. Menschen mit psychischen Störungen wurden zur damaligen Zeit missachtet, oft von ihren eigenen Familien herabwürdigt und zurückgewiesen. Sie lebten am Rande der Gesellschaft, und nur selten wurden sie von Ärzten behandelt und einer Therapie unterzogen. In der modernen Anstalt in Obrawalde konnten sie ihr Ehrgefühl zurückgewinnen.


Zehn Jahre später brach der Erste Weltkrieg aus. Viele Haus- und Pflegekräfte der Obrawalder Anstalt wurden zum Militär einberufen und gingen an die blutige Front. Die ersten Familien erhielten Telegramme mit der Nachricht vom Tod ihrer Männer, Väter und Söhne. Nach vier Jahren, 1918, war der Krieg endlich zu Ende. Deutschland hatte kapituliert. In Meseritz und Obrawalde herrschten eine gedrückte Stimmung und ein Gefühl von Ungerechtigkeit. Als Folge des Versailler Vertrages wurde auch durch den Kreis Meseritz die Grenze gezogen. Die Stadt blieb jedoch beim Reich. Obrawalde trennten weniger als 15 Kilometer von der Grenze zu Polen. Die aus nunmehr polnischen Kreisen stammende Patienten mussten in polnische Krankenhäuser verlegt werden. So gab es jetzt in Obrawalde viel Platz. Deswegen wurde 1919 die aus Posen evakuierte preußische Verwaltung dorthin verlegt. In den folgenden Jahren kam es zu Umbenennung der Anstalt in „Landes Heil- und Pflegeanstalt Obrawalde“. Außer 15 psychiatrischen Abteilungen befanden sich hier eine Lungenklinik für Kinder und Frauen, ein Kindersanatorium, eine Gynäkologie- und Entbindungsstation, eine Säuglingsabteilung, ein Altenheim sowie ein Röntgen-Institut.

In ObrawLuftbild Obrawaldealde wurden moderne Heilmethoden an psychisch Kranken angewendet – im Rahmen der Therapie wurden die Patienten mit den unterschiedlichsten Arbeiten auf dem Anstaltsgelände beschäftigt: in Handwerksstätten, Küche, Wäscherei und im Garten. Sie arbeiteten auch in der zur Klinik gehörenden Landwirtschaft in unmittelbarer Umgebung und bei Kupfermühle. Der landwirtschaftliche Betrieb war damals etwa 600 Hektar groß, und es wurden Getreide, Kartoffeln, Obst und Gemüse angebaut. Erträge kamen in die Krankenhausküche. Die Patienten kümmerten sich auch um die Grünanlagen und Blumenbeete, die das Gelände schmückten. Viele durften sich auf dem Gelände frei bewegen; so kamen sie auch mit dem Personal und deren Familien in Kontakt. Sie hatten Gymnastik und Sport in der Turnhalle und auf einem Sportplatz und genossen die Badeanstalt an der Obra. In der Freizeit durften sie sich bei Brettspielen entspannen, Radio hören, Zeitung lesen und sich die im Kinosaal vorgeführten Filme anschauen. Das Kino befand sich im Verwaltungsgebäude. Dort gab es auch ab und zu Tanzabende für die Kranken. In der ganzen Anstalt waren damals etwa 300 Personen beschäftigt – als Ärzte, Pflegepersonal und in der Verwaltung.

Im Herbst 1939 unterzeichnete Adolf Hitler das Euthanasiegesetz, welches unter anderem die Tötung psychisch kranker Menschen erlaubte. Über Obrawalde zogen die dunklen Wolken der nationalsozialistischen Ideologie der Rassenhygiene auf. Es begann die berüchtigte Aktion T4. In Obrawalde gab es damals rd. 2 000 Patienten! Und Menschen, von denen die Kranken vorher gepflegt wurden, reichten ihnen jetzt Gift. Walter Grabowski, Luise Erdmann, Margarete Tunkowski, Martha Winter, Erna Elgert, Amanda Ratajczak und viele mehr. Nur vier von ihnen wurden nach dem Krieg verhaftet und aufgrund ihrer Beteiligung an Euthanasieverbrechen wegen Mordes verurteilt. Die meisten aber wurden freigesprochen – aus Mangel an Beweisen, wie das Gericht damals feststellte. Getötet wurde mit Hilfe von Luminal-Tabletten bzw. Veronal in überhöhter Dosierung, durch Morphin- und Skopolamin-Injektionen. Man schätzt, dass in Obrawalde auf diese Weise im Rahmen der wahnsinnigen Aktion T4 mehr als zehntausend Menschen ums Leben gekommen sind.

Hinweis der HGr-Redaktion:
Von rd. 6 500 der in Obrawalde ermordeten Opfer wurden die Namen in sog. Sterbebücher eingetragen. Während sich die Originale in polnischen Archiven befinden, verfügt das Kreismuseum Wewelsburg über eine vollständige Abschrift. Für mögliche Anfragen wurden uns folgende Kontaktdaten genannt:

Kreismuseum Wewelsburg
Abtl. Dokumentation/Sammlung
Cathrin Tegethoff
tegethoffc@kreis-paderborn.de
Tel.: 02955-7622-14