Anna Louise Karsch, "die Karschin"
"Die deutsche Sappho" - von L. v. Kalckreuth

Geboren wurde die Dichterin am 1. Dezember 1722 als Tochter und drittes Kind des Bierbrauers und Gastwirts Dürbach in Hammer, einem kleinen Dörfchen zwischen Schwiebus und Crossen. Ihr Geburtshaus besingt sie später mit folgenden Zeilen:

"Hier, zwischen Lämmerchen und Tauben
wuchs ich auf bis zum fünften Jahr
und lernt an einen Schöpfer glauben,
weils Morgenrot so lieblich war."


Da ihr Vater frühzeitig starb, übergab ihre Mutter sie dem Oheim Fethe, einem gebildeten Amtmann aus Tirschtiegel, zur Erziehung. Bei ihm lernte sie Rechnen, Schreiben, Lesen, ja sogar Latein.

Portrait - Anna Louisa Karsch Als sich ihre Mutter zum zweiten Mal, mit einem Hempel, verheiratete, zog auch sie nach Tirschtiegel. Hier wurde das Mädchen zu allen Arbeiten herangezogen, so auch zum Kühehüten. Zusammen mit den Hirtenknaben lernt sie die weite idyllische Landschaft kennen, uralte Bäume, die Seen und die Obra. So erwachte in dem Kind schon früh die Liebe zur Natur, ließ es nicht los und zwang es zum Niederschreiben dessen, was es im Augenblick an Schönem empfand.

Stets bewahrte die Karschin tiefe Dankbarkeit gegen ihren Oheim, denn ohne seine Unterweisung hätte sie das nie niederschreiben können, wozu sie später ihr Innerstes trieb.

Kaum 16 Jahre alt, wurde sie an einen Tuchhändler Hirsekorn aus Schwiebus verheiratet. Da sich ihre Ehe höchst unglücklich gestaltet, wird ihr die eigene Dichtung zur wahren Trösterin. Trotzdem hat sie das Jammerleben an der Seite ihres Mannes 11 Jahre lang ausgehalten.

Friedrich der Große führte in den preußischen Gebieten die Ehescheidung ein, die von ihr als der ersten Frau in Anspruch genommen wurde. Nach der Scheidung von ihrem Mann will sie zurück nach Tirschtiegel, muß aber im Dorf Muschten bei einem Bauern Aufnahme erbitten, weil sie ein Kind gebiert. Hier lernt sie den Schneider Karsch kennen, heiratet ihn und zieht mit ihm nach Fraustadt.

Karsch war ein Trinker, prügelte sie viel und ließ für den Lebensunterhalt der zahlreichen Familie sie sorgen. Doch fand sie hier Gönner, die sich für ihre Dichtkunst begeisterten. Ihr Ruf als Dichterin gewinnt von jetzt an immer mehr an Ansehen, Gelehrte und Künstler beginnen sich für sie zu interessieren und treten mit ihr in Briefwechsel.

1755 ist sie von Fraustadt nach Glogau verzogen. Ihren zweiten Mann wird sie hier dadurch los, daß man ihn unter die Soldaten steckt. In Glogau werden auch ihre ersten Lieder gedruckt und in vornehmen Kreisen vorgelesen. Das Vorgetragene gefällt dem poetischen Baron von Kottwitz so sehr, daß er beschließt, diese seltsame Frau kennenzulernen. Er besuchte und beschenkte sie reich und machte ihr den Vorschlag, sie mit nach Berlin zu nehmen. Freudestrahlend nahm die Karschin das Anerbieten an.

Am 25. Januar 1761 zog sie in Berlin ein und fand Aufnahme im Hause des Wiener Gesandten Graf von Gotter, wo auch der Baron von Kottwitz wohnte. Hier lernt sie den Dichter Gleim kennen, der von ihrem Geist angetan ist.

Durch General v. Seydlitz lernt Friedrich der Große die Hochgesänge der Karschin auf seine Kriegstaten kennen. Im Jahre 1763 läßt er sie zu sich kommen. Bei dieser Gelegenheit versprach er, ihr ein Haus in Charlottenburg erbauen zu lassen und ihr außerdem 600 Taler zu schenken. Friedrich der Große unterließ es aber, das gegebene Versprechen einzulösen, und als ihn die Karschin später daran erinnert, schickte man ihr 2 Taler zu. Dies beleidigte die Karschin sehr, sie packte die 2 Taler wieder ein und sandte sie mit folgenden Versen dem König zurück:

"Zwei Taler gibt kein großer König,
den sie erhöhen nicht mein Glück;
Nein, sie erniedern mich ein wenig,
Drum send' ich sie zurück."


1786 starb Friedrich der Große, und als Friedrich Wilhelm II. an die Regierung kam, löste er das von Friedrich dem Großen gegebene Versprechen ein, indem er der Karschin ein Haus am Haakschen Markt, heute Neue Promenade 5, in Berlin erbauen ließ. Sie bezog das Haus, wie sie selbst schreibt, mit folgenden Worten:

"Schön ist's Häuschen, doch mit mir
sind viele Sorgen eingezogen."


Die Dichterin erfreute sich nicht nur der Gunst damaliger Größen, wie Goethe, Gleim, Lessing, Chodowiecki usw., sondern auch vieler Fürstlichkeiten. Sie wurde, ohne darum nachgesucht zu haben, zum Ehrenmitglied der Akademie von Helmstedt gewählt. Der geistvolle Verehrer der Wissenschaften und Künste, Graf von der Lühe, zeigte ihr diese Ernennung in einem herzlich gehaltenen Brief an. Sie war die erste deutsche Frau, der diese Auszeichnung widerfuhr.

Im Hochsommer 1791 faßte sie den Entschluß, nach Tirschtiegel, mit dem sie die herzlichste Freundschaft verband, zu kommen. In Frankfurt erkrankt sie aber und muß die Reise aufgeben. Hier verfaßt sie am 18. August 1791 ihr Testament, das sehr aufschlußreich ist.

Sie starb am 12. Oktober 1791 in Berlin und fand ihre letzte Ruhestätte auf dem Sophienfriedhof. Ihr Grabstein trägt folgende Inschrift, von Gleim verfaßt:
"Hier ruht Anna Louise Karschin, kennst Du, Wanderer, sie nicht, lerne sie kennen."

Wie sehr die Karschin an der Stadt Tirschtiegel hing, beweist ihr Gedicht, das sie der evangelischen Gemeinde zur Einweihung der neuerbauten Kirche im Jahre 1782 zusandte:

"Lobsinget hoch mit Jubelschall
Dem Könige der Ehren,
Daß es dort oben überall,
Die Himmelsbürger hören,
Die hier mit Tränen und Gebet Vergebens wünschten, was Ihr seht,
Für Euch und Eure Kinder.

Wenn's möglich ist, wenn's Gott erlaubt,
Der Geist- und Odemgeber,
Auf den Ihr hofft, an den Ihr glaubt,
Dann öffnen sich die Gräber.
Unsichtbar wird der Staub belebt,
Horcht Eurem Weihgesang, und hebt
Das Haupt empor und siehet:

Da stehet Tempel und Altar,
Wonach die Väter bangten,
Was über zweimalhundert Jahr
Viel Seelen heiß verlangten,
Und nicht gehofft, und nicht gewähnt
Was Ihr von unserm Gott ersehnt,
Zur Zeit, die er bestimmte.

Dank sei dem wunderbaren Gott
Im Himmel und auf Erden!
Wer ihm vertraut, kann nicht zu Spott,
Kann nicht zu Schanden werden.
Er weckte Herzen weit und breit
Zur Menschenlieb und Mildigkeit,
Zum Aufbau seines Hauses.

Dank ihm und diesen Herzen All',
Von Euch und mir gesungen:
Dank bis zum Berg, und Hügelfall
Von Eurer Kinder Zungen;
Dem Ewigvater, Ewigherrn,
Der über Sonne, Mond und Stern'
Regiert und bei Euch wohnet.

Bringt des Gehorsams Opfer stets
Bringt süße Weihrauchk örner
Der Kinderliebe, des Gebets;
Und freuet Euch noch ferner
Auf seine Hülfe, seinen Rat.
Der große Dinge an Euch tat,
Wird nimmer Euch verlassen."


Auch die Stadt Tirschtiegel durfte ihre Karschin nicht vergessen. Ihr zum Andenken wurde an dem Haus in der Hirtenstraße, in dem sie ihre ersten Gesänge erklingen ließ, im Jahre 1927 eine Tafel angebracht mit folgender Widmung:
"Anna Louise Karschin, die deutsche Sappho, verlebte in diesem Hause ihre Jugend von 1730-38."


Verwandte von ihr, die Geschwister Wittchen, bewahren noch verschiedene Andenken von ihr, einen Fächer, eine schöne Porzellantasse mit dem Namen der Karschin, ihr Familiensilber und ein kostbares Armband aus Lavasteinen.