Das Lazarett in der Volksschule Meseritz
Dr. Werner Klose

Vor einiger Zeit bin ich aufgefordert worden, einen Bericht über das Anfangs der 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts im Gebäude der Volksschule in der Bismarckstraße untergebrachte Lazarett zu verfassen.
Leider stellte ich erst nach meiner Zusage fest, daß mir über die Jahre der Tätigkeit dieser Einrichtung – mit Ausnahme der Ereignisse ab Ende Januar 1945 – so gut wie keine verläßlichen Informationen und zeitliche Daten zugänglich waren.
Eine Suchanfrage im Heimatgruß Nr. 198 vom September 2011 nach Personen, die möglicherweise aus ihrer Erinnerung etwas zur Geschichte des Lazaretts beitragen konnten, blieb praktisch ohne Erfolg.

Zum Glück ist es jedoch gelungen, unterstützt durch familiäre und heimatliche Kontakte, an persönliche Erinnerungen zu gelangen – so von zwei Verwundeten an ihre Lazarettaufenthalte und von zwei gegen Ende 1944 zum Meseritzer Lazarett abkommandierten Hilfsschwestern, vor allem über die dramatische Vorgänge bei dem Ende Januar 1945 in letzter Minute vor dem Anrücken der sowjetischen Armeen befohlenen Rückzug des Lazaretts nach Westen.

Die Tirschtiegeler Radarstellung

Über den Beginn der Lazaretttätigkeit liegen mir keine Angaben vor. Meine Cousine Inge Walden geb. Klose, Tochter des Uhrmachers in der Obrastraße, erinnert sich, daß sie nach ihrer Einschulung im Spätsommer 1940 nur noch wenige Wochen Unterricht im Volksschulgebäude hatte. Danach wurde der Schulbetrieb in den Räumen der Mittelschule und der Berufsschule am Bahnhofsplatz fortgeführt.
Später wurde dann eine dreiflügelige Schulbaracke auf dem Wiesengelände zwischen dem Obra-Uferweg und dem Maiplatz errichtet. Da für das Lazarett nur der westliche Flügel der Volksschule benötigt wurde, ging der Unterricht in dem anderen Teil des Gebäudes, der (ehemaligen?) katholischen Volksschule, offensichtlich weiter. Über den für etwaige Umbauten und Einrichtungen von Behandlungsräumen und Krankenzimmern benötigten Zeitraum liegen keine Informationen vor.
Der Lazarettbetrieb könnte schätzungsweise in der zweiten Hälfte des Jahres 1941 aufgenommen worden sein. Das Reserve-Lazarett 917 Meseritz gehörte zusammen mit dem Feld- und Reserve-Lazarett 901-917 zur Feldsanitätsabteilung Frankfurt/ Oder. Die Leitung als Chefarzt übernahm Oberstabsarzt Dr. Wilhelm Gäthgens, der jedoch auch als Chefarzt am Meseritzer Krankenhaus blieb.
Mein Vater, Dr. Johannes Klose, seinerzeit Stabsarzt der Reserve, war nach seiner Einberufung am 26.08.1939 als Truppenarzt eines Baubataillons bei den Feldzügen gegen Polen 1939, gegen Frankreich 1940 und gegen Rußland 1941 eingesetzt.
Im Dezember 1941 wurde er krankheitshalber von der Front bei Mozajsk, ca. 100 km westlich von Moskau, zur Sanitäts-Ersatzabteilung III in Berlin-Reinickendorf versetzt. Mit der Beförderung zum Oberstabsarzt am 1.10.1942 erfolgte seine Ernennung zum Standortarzt der Heeres-Sanitätsstaffel Meseritz bei dem Grenadier- Ersatzbataillon 477 in den Meseritzer Kasernen.
Über die Zeit bis zum Kriegsende enthält die Akte bei der Wehrmachtsauskunftsstelle WASt seltsamerweise keine weiteren Daten. So bleibt unklar, zu welchem Zeitpunkt er unter Beibehaltung seiner Funktion als Standortarzt die Tätigkeit als zweiter Arzt im Lazarett neben dem Chefarzt Dr. Gäthgens aufgenommen hat. Es fehlen vor allem auch Angaben über Anzahl und Bettenzahl der Krankenzimmer, Anzahl, Art und Ausstattung der Behandlungsräume oder über Anzahl und Ausbildungsstand der Schwesternschaft.

Die Tirschtiegeler Radarstellung

Lazarettaufenthalt in Meseritz
Christian-Conrad v. Dziembowski aus Bobelwitz

IIm Spätherbst 1943 wurde ich am Dnjepr ostwärts von Poltawa durch eine Ladung von Granatsplittern (verteilt über die ganze rechte Körperseite) verwundet. Nach einem langwierigen Transport, zuerst in Viehwaggons und ab Lodz im Lazarettzug landete ich in Alt Harzdorf bei Reichenberg im Sudetengau in einem notdürftig hergerichteten Lazarett (einer Turnhalle).
Dort verlebte ich das Weihnachtsfest 1943 und auch Neujahr. Anfang Januar erschien meine Großmutter Clara-Alexandra von Kalckreuth (Obergörzig) im Lazarett und brachte es mit ihrem recht resoluten Auftreten fertig, daß ich in mein Heimatlazarett nach Meseritz verlegt wurde.
Das Meseritzer Reservelazarett befand sich zu dem Zeitpunkt in einem Teil der Volksschule, ein Teil der Volksschule wurde noch als Schule genutzt. Chefarzt war zu dem Zeitpunkt der Meseritzer Dr. Gäthgens, der mir vom Meseritzer Krankenhaus her wohl bekannt war. Er war bereits im fortgeschrittenen Alter und wirkte in seiner Wehrmachtsuniform für uns junge Soldaten doch recht merkwürdig.
Mein Stationsarzt war unser langjähriger Hausarzt Herr Dr. Klose aus Meseritz. An Krankenschwestern waren zu diesem Zeitpunkt unter anderem Sigrid v. Gersdorff aus Bauchwitz, Heidi Draber aus Solben und Helga Schmidt, Tochter von Studienrat Schmidt-Schmeidte, aus Meseritz. Als Therapeutin (Masseurin) arbeitete Rosemarie Eimer, Tochter vom Meseritzer Ofensetzer Eimer. Sie war ein bildhübsches Mädchen und wurde von allen Soldaten umschwärmt. Später nach dem Krieg ging sie in die USA.

Zu der Zeit kamen in der Wehrmacht die Politoffiziere zum Einsatz. Für uns Soldaten waren es Typen, die sich nur vor der Front drücken wollten. Alle gehfähigen Lazarettangehörigen mußten einmal in der Woche in die Meseritzer Kaserne zum Politunterricht, wo man ihnen die Story vom großen Sieg der Deutschen erklärte, was aber von den Frontsoldaten nur mit einem müden Lächeln quittiert wurde.
Im Anschluß an diesen Zwangsunterricht landeten wir regelmäßig im Kaffee Reichert oder Brückmann und danach womöglich auch noch im Kino nebenan. So erging es mir auch einmal, daß ich Bekanntschaft mit einem netten Meseritzer Mädchen bei Brückmann machte und den festgesetzten Zapfenstreich weit überschritt.
Nun hatte ich das Pech, daß mich der diensthabende Unteroffizier beim Betreten des Lazaretts erwischte und zur Meldung brachte. Am nächsten Morgen mußte ich mich bei meinem Stationsarzt Herrn Dr. Klose zur „Bestrafung“ melden. Dem armen Dr. Klose war die Angelegenheit offensichtlich äußerst peinlich, ihm blieb aber gar nichts anderes übrig, als mich zu bestrafen.
Ich persönlich nahm dieses Vergehen auf die leichte Schulter. So erhielt ich für die Zapfenstreichübertretung eine Woche Ausgangsverbot. Da wir aber regelmäßig zum Politunterricht in die Kaserne gehen sollten, war natürlich im Anschluß daran der Besuch bei Kaffee Reichert oder Brückmann mit eingeplant.
Im Februar 1944 durfte ich sogar in ambulante Behandlung heim nach Bobelwitz und mußte wöchentlich einmal zur Visite erscheinen. Mitte März 1944 wurde ich zu meinem Ersatztruppenteil nach Cottbus in Marsch gesetzt.

Die Tirschtiegeler Radarstellung

Erinnerungen anläßlich eines Besuches in Meseritz im Jahr 1977
Einhard Behr

Meine Jugendzeit war bereits beendet, als sie eigentlich erst anfangen müsste. Schon als 16jähriger Oberschüler in kurzen Hosen rief man mich im Jahre 1944 zu den Waffen.
Östlich von Posen wurde ich verwundet und auf einen offenen Güterzug – ohne Lokomotive – verladen. Bevor sich dieser Zug nach „Nirgendwo“ in Bewegung setzen konnte, versuchte die klirrende Kälte in den letzten Januartagen des Jahres 1945 mich durch Vereisung zu befördern – vermutlich ins Jenseits. Gelegentlich rollte dieser Gefrierfleischzug aber auch wirklich, zwar immer recht langsam, aber er rollte.
Angeblich dauerte dieser Transport drei volle Tage und Nächte – von der Ostfront bis nach Meseritz! Oh, welches Schicksal. Plötzlich lag ich zum „Auftauen“ in einem Klassenraum meiner alten Volksschule, die in jenen Tagen als Lazarett diente.
Mein Zweifeln zwischen Traum und Wirklichkeit wurde von einer Krankenschwester unterbrochen: „Bist du nicht unser Oberministrant Einhard Behr?“ fragte sie mich und ehe ich antworten konnte, erzählte sie mir, daß sie jetzt gleich zum Abendgottesdienst meine Eltern treffen würde, mein Vater sei zufällig auch zu Hause auf Genesungsurlaub.
Das alles war für mich so unbegreiflich, so unwirklich, ja geradezu geheimnisvoll. Wieso ich ausgerechnet hier? Mein Meseritz hatte mich wieder. Noch konnte ich nicht ahnen, daß mit diesem Tag für Meseritz eine große Geschichtsepoche abschließen wird und in diesem Augenblick schon viele Meseritzer als Flüchtlinge ihre Heimat verlassen.
Auch für das Lazarett lag der Räumungsbefehl vor. Dank der Offiziersstellung meines Vaters wurde das inzwischen bestehende Besuchsverbot gegenstandslos und für fast eine Stunde hatte ich meine lieben Eltern am Krankenbett. Dieses kurze und überraschende Wiedersehen war unser letzter Abend in Meseritz.
Meine Eltern begleiteten mich, als ich dann überraschend in ein Lazarettauto getragen wurde, das mich zum Bahnhof brachte. Es war 21 Uhr. In dieser Nacht wurde Meseritz geräumt. Keine 5 Stunden dauerte mein heimatlicher Aufenthalt, aber ich durfte nochmal zu Hause sein, am letzten Tag von Meseritz.

Die Tirschtiegeler Radarstellung
Wie ich in unser Lazarett kam
Helga Zillinger geb. Schmidt

Es war in der letzten Juli-Woche 1944, als die Universität Greifswald ihre Pforten für die Sommermonate schloß.
Ganz kurzfristig wurde für den letzten Abend des Studienbetriebes ein Aufmarsch aller Studentinnen und Studenten anberaumt. Uns schwante nichts Gutes, doch Alle kamen. Aber es lag eine ganz unheimliche, ich möchte sagen bedrückende Stimmung über dem Marktplatz.
Die Männer, überwiegend Soldaten in den Studentenkompanien mit finsterem, zu Boden gerichteten Blick, wir Frauen, auch nicht in gehobener Stimmung, erwarteten nun gespannt, was kommen würde.
Die Worte des Studentenführers von Pommern gipfelten in dem Satz: „Ich melde hiermit alle Studenten der Universität Greifswald zum freiwilligen Einsatz an die Ostfront, die Frauen zum Schippeinsatz für den Ostwall und danach zur Ablösung der Sanitätsgrade in die Lazarette.“
So, dieser Satz saß! (Knapp eine Woche davor hatte das Attentat auf Hitler stattgefunden.) Seine Worte zerschnitten die schwüle Sommerluft. Keiner ging heim. Bis in die frühen Morgenstunden waren wir in der Stadt unterwegs, rätselten, diskutierten, machten uns irgendwie Luft.
Wir Frauen und drei Männer, die nicht Soldaten waren, wurden nach Deutsch Krone beordert, wo wir bis November 1944 in zum Teil sehr schwerer Arbeit an der Errichtung des Ostwalls mithalfen. Unterkunft hatten wir auf Strohlagern in Scheunen, alles recht primitiv. Aber das in diesem Sommer herrliche Wetter entschädigte uns abends mit Baden und Rudern auf den diversen Gewässern rund um Deutsch Krone für alle gehabten Strapazen. Mitte November 1944 wurde der Betrieb dann eingestellt. Dieser unfertige Wall hat bestimmt keinen Russen bei seinem Sturm auf Berlin aufgehalten.
Wir zogen ab in die Lazarette, die wir uns aussuchen konnten. Ich meldete mich natürlich für das Heimatlazarett Meseritz. So begann ich in der zweiten Novemberhälfte 1944 meinen Dienst als Schwesternhelferin im Res. Lazarett 917 in Meseritz. In der gleichen Funktion waren dort noch Arnhild Bleschke und Christa Ossig tätig.
Chefarzt des Lazarettes war der uns Frauen gut bekannte und wohlvertraute Dr. Hans Klose. Ihm zur Seite arbeiteten Oberarzt Dr. Werner Krause und ein Unterarzt, dessen Name mir leider entfallen ist.

Unser Einsatz auf den verschiedenen Stationen war recht vielseitig. Vorwiegend wurden chirurgische Fälle eingeliefert, die nach ihrer Erstversorgung im Feldlazarett bei uns nun weiterbehandelt und möglichster Besserung bzw. Wiederherstellung zugeführt werden sollten. Aber auch internistische und infektiöse Patienten (ich erinnere mich an einen schweren Diphteriefall, den ersten, den ich in meinem Leben sah) wurden in unserem Lazarett behandelt und gepflegt.
Über die Anzahl der Patienten auf den verschiedenen Stationen kann ich leider keine Angaben mehr machen. Viel Leid und seelische Not waren auf jeden Fall in jedem Zimmer zu finden. Oft genug stand man selbst hilflos diesem leidvollen Geschehen gegenüber, versuchte wenigstens mit gutem Zuspruch und vorsichtiger Aufmunterung die Verzweiflung und Schmerzen ein klein wenig zu lindern. Die Ärzte taten das Menschenmögliche und wir bemühten uns, ihnen nach Kräften bei ihrem Tun zu helfen.
Zu Beginn des Jahres 1945 wurden mehr und mehr transportfähige Verwundete in Richtung Westen verlegt. Es herrschte im ganzen Lazarett beim gesamten Personal hektische Betriebsamkeit, denn es war längst nicht mehr alles selbstverständlich zu bewerkstelligen, was für eine die Verlegungen notwendig war. Die ehemalige große Volksschule, die seit Jahren – ich weiß das genaue Datum nicht mehr – das Lazarett beherbergte, wurde immer leerer, immer stiller, unsere Arbeit immer weniger, kein befriedigender Zustand.
So kam schließlich der 28. Januar 1945 heran. Ich ging um die späte Kaffeezeit nach Hause, da ich es nicht weit hatte. Auch in der Familie herrschten natürlich zunehmend Sorge und Ratlosigkeit, wie sollte es anders sein.
Da holte man mich zwischen 18 und 19 Uhr: ich möchte schnell kommen, es ginge los! Dieser Satz haftet auf immer in meinem Gedächtnis. Auf dem Schulhof stand ein normaler Bus für das noch verbliebene Personal bereit, darunter Ehepaar Dr. Klose und Sanitätsfeldwebel Oberpfleger Meißner aus Obrawalde.
Durch die Hauptstraße an unserem und Kloses Haus vorüber fuhren wir in Richtung Schwerin. Wir waren noch gar nicht weit gekommen, da streikte der Bus, wir mußten alle raus, standen auf der verschneiten Landstraße, auf der uns der eisige Ostwind die Kälte in die Glieder trieb. Natürlich ging unser Blick zurück in Richtung Meseritz, unsere Heimatstadt, über der sich der Himmel mehr und mehr rot färbte.
Wie es geschehen konnte, daß nach langem Warten ein Ersatzbus auftauchte, um uns weiterzubefördern, ist mir bis heute rätselhaft, in dieser trostlosen Situation ohne Funk oder Handy. Auf jeden Fall landeten wir spät in der Nacht in Drossen in einem Lazarett, wo wir ein sauberes Nachtquartier und etwas Warmes zu essen bekamen.
Hier begegnete ich Frau Klose, die mir eine neue Zahnbürste schenkte, da ich meine in dem schnellen Aufbruch vergessen hatte. Nach kurzer aber immerhin ungestörter Nachtruhe und einem einfachen Frühstück ging die Fahrt weiter in Richtung Küstrin.
Unablässig pfiff der eisige Wind über die verschneiten Chausseen, auf denen langsam und unendlich mühsam die Treckwagen mit vermummten, verzweifelten, verstummten Menschen rollten. Es gab eine nochmalige Pause in einem Lazarett in Küstrin, in dem wir einen Freund aus Meseritz trafen, auch stud. med., der uns mit warmen Sachen und Filzstiefeln ausstaffieren wollte, bevor die Russen alles konfiszierten. Aus dieser geplanten, guten Tat wurde aber nichts, undals Arnhild und ich das Haupttor erreichten, war unser Lazarett schon aufgebrochen. Die Front rückte immer näher. Einsam standen Koffer und Rucksack am Wege (welch Wunder, daß man sie nicht geklaut hatte). Was nun tun?
Wir zwei Mädchen stellten uns an die Straße, auf der ständig Wagen der Organisation TODT unterwegs waren, winkten und recht bald hielt ein Auto. Schnell stiegen wir ein und konnten bis Bernau bei Berlin mitfahren. Als wir mit Dank für die Mitnahme ausstiegen, stellten wir fest, daß wir auf Panzerfäusten – sicher bestimmt für Berlin – gesessen hatten.
Ich selbst kam nach kurzer Zeit zum Einsatz im Hirn-, Nerven- und Rückenmarksverletzten-Lazarett in Berlin-Buch, das zum Beginn der Kämpfe um Berlin nach Schleswig verlegt wurde. Bis Ende 1947 arbeitete ich dort und traf da eines Tages, ganz unverhofft, unseren Chefarzt Dr. Klose wieder. Er war als englischer Kriegsgefangener in Rendsburg stationiert, eine bewegende Begegnung für uns beide.

Die Tirschtiegeler Radarstellung

Ergänzend zum Bericht von Helga Zillinger schreibt
Arnhild Meinrenken geb. Bleschke:

Auch ich kam im November 1944 von meinem Studienort Marburg/Lahn an das Meseritzer Lazarett. Wir drei Medizinstudentinnen standen den Sanitätsdienstgraden zur Seite und waren in unserer Tätigkeit direkt den Ärzten unterstellt.
So ergab es sich hin und wieder auch mal, bei einer Operation zusehen zu dürfen. Chefarzt Dr. Klose, mit seiner Familie auch mir wohlbekannt, leitete uns hervorragend an. Auch Oberarzt Dr. Krause war bemüht und ebenfalls Feld-Unterarzt Dr. Heinz Denker. Es gab unendliches Leid und, wie schon Helga beschrieb, wurde es manchmal fast unerträglich für uns, die wir noch so jung und unerfahren waren.
So kann ich mich an eine Nachtwache erinnern, die ich übernehmen mußte, am Bett eines frisch operierten Soldaten, so alt wie ich selbst. Er hatte beide Augen verloren und ich sollte ihm, wenn er wach werden würde, dieses Unglück „schonend“ beibringen.
Ich hatte bis dahin wohl noch nie so intensiv um etwas gebetet, nämlich, daß dieser Kelch an mir vorübergehen möge. Und ich habe es tatsächlich nicht tun müssen. So relativ friedlich und vorweihnachtlich der Dezember im tief verschneiten Meseritz verlief – man traf sich, machte Pläne, häufig musizierte ich mit einem sehr lieben Freund in der kleinen lutherischen Kirche – so anders und bedrückender wurde die Zeit im Januar. Die Ostfront kam immer näher, schlimme Gerüchte eilten voraus. Das Lazarett wurde zum Feldlazarett und Verbandsplatz. Die Soldaten kamen direkt von der Front und man konnte diese in manchen Nächten schon hören. Ende des Monats wurden wir angewiesen, einen Koffer mit dem Nötigsten ständig bei uns zu haben und am 28. Januar 1945 abends kam der Abschied. Es mußten einige Soldaten, die nicht transportfähig waren, zurückgelassen werden und zu deren Versorgung sollten sich Freiwillige melden, die mit ihnen zurückbleiben würden.
Ich werde nicht vergessen, wie sehr ich von der menschlichen Haltung unseres Unterarztes Dr. Denker, der sich sofort dazu meldete, beeindruckt war. Leider weiß ich bis heute nicht, was aus den Zurückgebliebenen geworden ist.

Bevor unser Bus abfuhr, konnte ich gerade noch einen kleinen Jungen auf der Straße bitten, zu meinen Verwandten zu gehen, sie zu grüssen und zu bitten, sofort Meseritz zu verlassen. Er hat es übrigens wirklich getan und alle sind rechtzeitig mit der Bahn herausgekommen. Als unser Bus später eine Panne hatte und wir ihn alle verlassen mußten, habe ich mein Gepäck, einen Koffer und einen Tornister, darin gelassen, wie uns geraten wurde.
Wir standen zunächst auf der tief verschneiten Landstraße und, um nicht völlig zu erstarren, machten wir uns zu Fuß weiter auf den Weg bei Wind und eisiger Kälte, bis uns plötzlich und wundersam der Ersatzbus einholte und nach Drossen brachte. Wie es weiter ging, hat Helga trefflich geschildert. Sie hatte immerhin noch ihr Gepäck, ich nur eine Umhängetasche mit Papieren. In Küstrin kam es zu einem Zwischenfall. Während wir einen Freund von Helga aufsuchten, der uns mit warmen Sachen ausstaffieren wollte, gab es plötzlich eine wüste Knallerei auf der Straße – Schreie, fliehende Menschen, Panik. Wir rannten zum Haupthaus zurück und erfuhren dort, daß unsere Truppe aufgelöst worden war und sich jeder selbst in Sicherheit bringen sollte, „Treffpunkt Berlin“.
Russische Panzer waren in Küstrin eingedrungen und verursachten Angst und Schrecken. Aber so plötzlich sie gekommen waren, so plötzlich waren sie auch wieder fort. Nur wußte zu diesem Zeitpunkt niemand, daß es sich um einige verstreute Fahrzeuge handelte, eine Vorhut. Die eigentliche russische Front war noch entfernt.
Uns brachte ein rettendes Auto raus aus diesem Chaos. In Berlin, nach der Nacht in der Charité, fuhren wir zunächst gemeinsam nach Zehlendorf zu einer Sammelstelle des Deutschen Roten Kreuzes, so hatte man uns angewiesen. Wir meldeten uns dort und berichteten.

Man wußte dort noch nichts von all den Geschehnissen, wollte uns allerdings sofort wieder neu einsetzen. Da streikten wir ganz entschieden. Erst würden wir uns um den Verbleib unserer Angehörigen kümmern. Das wurde nicht genehmigt, aber wir taten es einfach und verschwanden von der Bildfläche, bevor noch irgendein Formular ausgefüllt werden konnte.
Von da an trennten sich unsere Wege. Am Tag darauf mußte ich meinen neuen Dienst in einem Potsdamer Lazarett antreten. Von den Meseritzern hörte ich erst sehr viel später. Ich erfuhr aber, daß unser reparierter Lazarett-Bus mit Kofferinhalt in Frankfurt/Oder gelandet wäre und planmäßig das Gepäck im dortigen Theater abgeladen hätte.
Ich hatte einige Tage später das Glück, meinen Koffer dort in Empfang nehmen zu können, mein Tornister war leider weg, schlicht geklaut. Das Zurückholen des Gepäcks geschah allerdings unter Einsatz meiner Gesundheit, eigentlich auch meines Lebens, denn zu dieser Zeit war Frankfurt bereits nur noch ein Brückenkopf. Die Brücke selbst stand unter feindlichem Beschuß.

Mit meiner Mutter erlebte und überlebte ich in Potsdam den Bombengroßangriff, bekam eine schwere doppelseitige Lungenentzündung und mußte ins St. Josef-Krankenhaus. Der dortige Arzt empfahl eine Erholung in Schleswig-Holstein und die Oberin des Lazaretts, in dem ich arbeitete, genehmigte sie. Meine Mutter durfte mich begleiten und wir wiederum betreuten einen Soldaten-Krankentransport nach Schleswig.
So kamen wir, eine Nacht bevor der Ring um Berlin geschlossen wurde, über Nauen heraus aus dem Kessel und landeten in Schleswig-Holstein, nachdem wir auf dem Weg dorthin noch einen russischen Tieffliegerangriff heil überstanden hatten.
Dort wurden wir beide getrennt voneinander in jugendlichen Wehrmachtsgruppen zur Krankenbetreuung eingesetzt. Ich arbeitete in Lindholm bei Niebüll und meine Mutter an der dänischen Grenze. Wir blieben dort bis zum Kriegsende, bis mein Bruder und mein Vater sich meldeten und schließlich auch zurückkamen. Über den weiteren Rückzugsverlauf der restlichen Lazarettmannschaft nach dem kurzen Überfall russischer Panzer in Küstrin liegen im Zeitraum bis April 1945 keine Unterlagen vor.

Am 10. April 1945 erfolgte ein Marschbefehl der Feld-Sanitäts-Abteilung Frankfurt / Oder für die Verlegung der Feld-Lazarette (R) 901 – 917 in den Raum Rendsburg – Heide – Husum – Schleswig, speziell für das Feldlazarett (R) 917 nach Rendsburg. Auf dem Weg von Mecklenburg dorthin wurde Dr. Klose, der mit einem Pkw zur Quartiersuche vorausgefahren war, durch die von Niedersachsen zur Ostsee vorstoßenden englischen Panzerspitzen von dem langsamer nachfolgenden Rest der Lazarettmannschaft getrennt.
Über deren weiteres Ergehen sowie über den Verbleib aller Privarsachen meines Vaters sowie sämtlicher dienstlichen und organisatorischen Unterlagen seit Bestehen des Lazaretts konnte seitdem nichts in Erfahrung gebracht werden. In Russee bei Kiel richtete er mit Unterstützung eines dort ansässigen Zivilarztes in der Schule einen Notverbandsplatz ein und geriet bald darauf in englische Gefangenschaft.
Mit Duldung durch die englische Besatzung durften die deutschen Lazarette unter der Kontrolle des Korpsarztes bei der Kommandantur Neumünster / Rendsburg weiterarbeiten. So konnte Dr. Klose in der Schule von Russee mit einer kleinen neuen Mannschaft – 5 Sanitäter, 1 Oberschwester mit 3 Helferinnen – das Lazarett (R) 917 mit 60 Betten, vermutlich bis Ende Juni 1945 weiterführen. Nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft im Frühjahr 1946 konnte er im Dorf Blumenthal bei Kiel unter primitivsten Umständen eine neue Praxis eröffnen.


Zusammengestellt von Dr. Werner Klose. Verfügen auch Sie über Zeitzeugenberichte, Fotos oder Dokumente im Zusammenhang mit diesem Thema? Die Redaktion Heimatgruß würde sich über ihre Mitteilung freuen!