Oberpräsident der Provinz Posen, Eduard Flottwell (1786-1865)Die schottischstämmige Familie Flottwell
Ein Text von Dr. Martin Sprungala

Der Oberpräsident der Provinz Posen, Eduard Flottwell (1786-1865), gehört zu den bekanntesten Verwaltern im damals vor allem noch Großherzogtum Posen genannten Posener Land, das genaugenommen aus den polnischen Landschaften des westlichen Großpolen (Wielkopolska mit Posen, aber ohne das kalischer Gebiet), Südwest-Kujawien (Kujawy, mit Bromberg) und dem westlichen Schieratzer Land (mit Ostrowo und Kempen i. P.) bestand.
Er kam Ende 1830 ins Amt, also nach dem ersten großen Aufstand im russischen Königreich Polen, das auch Kongreßpolen genannt wurde. Seine Aufgabe war es, auf die Folgen des Novemberaufstands zu reagieren, denn auch Posener Untertanen, vor allem viele Adelige hatten sogar in ihrer Funktion als Landräte Posener Kreise, den Aufstand unterstützt und das war genaugenommen Hochverrat.

Preußen änderte daher die Verwaltung und die Landräte wurden fortan nicht mehr von den Ständen in den einzelnen Kreisen gewählt. Hier hatten in vielen Kreisen polnische Rittergutsbesitzer die Mehrheit und dementsprechend war der gewählte Landrat ein Pole. Der König mußte nur die Wahl bestätigen. Dies war das bis dahin einzige Regulativ aus preußischer Herrschaftssicht.
Nun wurden die Landräte fortan von der königlichen Regierung in Posen ernannt und man schuf zudem eine niedere Verwaltungsstruktur in den Kreisen, die Amtskommissare. Auch Flottwells Politik des Erwerbs von Gütern, die an deutsche Preußen vergeben wurden, machte ihn zum Feindbild in der polnischen Historiographie.
Man spricht von einer Germanisierungspolitik in seiner Amtszeit, den 1830er Jahren. Dies ist aber die Sicht der Nachwelt auf diese Zeit.
Betrachten wir die Ereignisse einfach mal aus der Sicht der preußischen Regierung in dieser Zeit.

15 Jahre zuvor endeten die Napoleonischen Kriege und Preußen erhielten stark verminderte Gebiete aus der 2. und 3. Teilung Polen-Litauens zurück. Die Rechtmäßigkeit von Erwerbungen von fremden Ländereien wurde damals noch als normal und legitim angesehen. Die Kriege brachten große wirtschaftliche Probleme und erst langsam erholte sich Preußen davon.
Die Beteiligung der polnischen Untertanen betrachtete man in der preußischen Führung als Verrat und der ging bis in die Reihen der Verwandtschaft des Herrscherhauses. Der mit einer Hohenzollernprinzessin verheiratete Posener Statthalter Anton Fürst Radziwill (1775-1833) war selber dadurch kompromittiert, daß sein Neffe sich am Novemberaufstand beteiligte und wurde seines Amtes entpflichtet.

Das Ziel der kommenden Politik sollte das Zurückzudrängen des polnischen Adel und des katholischen Klerus zugunsten der Stärkung des zumeist deutschen Bürgertums und der Bauern sein. Diese auch in Westpreußen (seit 1824 als Provinz Preußen mit Ostpreußen vereint) zuvor schon betriebene Politik unter Oberpräsident Theodor v. Schön (1773-1856) wird heute als „Germanisierungspolitik“ bezeichnet – und Flottwell war ein politisch-administrativer Zögling Schöns.

In der sog. »Ära Flottwell« wurden die Polen aus der Verwaltung gedrängt und die deutsche Sprache wurde 1832 zur Amts- und Gerichtssprache erklärt. Das Polnische wurde immer weiter zurückgedrängt zugunsten der Zweisprachigkeit.
Flottwell schuf auch als erster einen Staatsfond, der polnische Güter aufkaufen sollte, um sie an Deutsche zu verkaufen. Besonders umfangreich war dessen Tätigkeit jedoch nicht, sondern nur für negativ propagandistische Erwähnungen brauchbar. Gleichzeitig erleichterte er den Juden den Erwerb der Bürgerrechte, da sie deutschorientiert waren. Negativ wirkte sich auf das Bild Flottwells auch der interkonfessionelle Mischehenstreit (1838) mit der katholischen Kirche aus, bei dem der sich staatlichen Anordnungen widersetzende Erzbischof Marcin Dunin-Sulgustowski (1774-1842) abgesetzt und verbannt wurde.

Beim Herrschaftswechsel zu Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) im Jahr 1840 leitete der neue König eine komplett neue Politik ein, die sogenannte „Versöhnungsära“. Flottwell wurde als Oberpräsident nach Sachsen versetzt. Seine Karriere ging ungemindert weiter. Letztlich zeigte es sich, daß die gutgemeinte Versöhnungspolitik Friedrich Wilhelm IV. nicht den gewünschten Erfolg brachte und bereits 1846 einen Aufstandsversuch ermöglichte, den der Geheimdienst aber aufdecken konnte.
In dem folgenden Revolutionsjahr 1848 brach dennoch ein Aufstand in der Provinz Posen auf, der letztlich zeigte, daß Flottwells Politik gar nicht so falsch gewesen war. Es folgte eine neue härtere Politik.

Die Vorfahren kamen aus Schottland

Bei Familien ist es immer die Geschichte hinter der Geschichte, wenn man fragt, woher eine prominente Persönlichkeit stammte, und wie sie den Weg für die Karriere ihres bekanntesten Vertreters einleitete. Man hört es eindeutig, daß Flottwells Vorfahren keine Deutschen waren. Der Name ist englischsprachiger Herkunft.

Im 16. und 17. Jahrhundert kamen viele Schotten aus wirtschaftlichen und weniger aus religiösen Gründen, wie die neuere Forschung feststellt, ins religiös tolerante Polen-Litauen, so wie im 17. und 18. Jahrhundert deutsche Glaubensflüchtlinge aus dem Heiligen Römischen Reich, in dem der Dreißigjährige Krieg tobte.
Auch die Zahlen der Einwanderer werden stark reduziert geschätzt. Sprach man früher von einer Migration von ca. 30. bis 40.000 Seelen, so waren es nach Schätzungen des Australiers Peter Paul Bajer [Scots in the Polish-Lithuanian Commonwealth, 16th-18th Centuries, Leiden 2012, 588 S.] höchstwahrscheinlich nur ca. 5.000 bis 7.000 Einwanderer, die vor allem aus Aberdeen sowie Aberdeenshire stammten.

Zu den Einwanderern aus Schottland gehörte auch die Familie Flottwell. Sie wanderte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts im herzoglichen Preußen ein und ließ sich offenbar schon bald in Königsberg nieder.

Die frühen Flottwells werden als Kaufmanns- und Theologenfamilie bezeichnet. In Genealogielisten findet man einen Ludwig Flottwell (1589-1657), der mit Dorothea Meinicke († 1665) verheiratet war.
Der erste bekannt gewordene Vertreter der Familie war Christian Flottwell (1681-1727). Seit 1697 studierte er Jura in Königsberg und wechselte 1705 nach Wittenberg, wo er am 20.12.1705 den Magistergrad erwarb. Er wechselte auch in das Fach der Theologie und wurde 1707 Kaplan in Löbenicht und zu Himmelfahrt 1708 Kaplan, später Diakon an der Domkirche in Kneiphof (russ. Knaipchof). Diese Stadt wurde 1724 zusammen mit Löbenicht mit Königsberg vereint.
Seit 1708 war er mit Katharina Elisabeth Neufeldt (1689-1755) verheiratet. Von Christian Flottwell sind einige Schriften erhalten geblieben. Er starb am 24.4.1727 in Königsberg.

Die größere Bekanntheit erwarb sein am 5.4.1711 in Königsberg geborener Sohn Cölestin Christian Flottwell (1711-1759). Er besuchte die Domschule seiner Heimatstadt und studierte hier seit 1724 Germanistik. Seine Magisterprüfung legte er 1733 in Jena ab. Im folgenden Jahr (1734) ließ er sich in Königsberg erneut immatrikulieren und legte 1735 seine Habilitation ab. Er arbeitete als Lehrer und wurde gegen einige Widerstände innerhalb der Universität 1743 ordentlicher „Professor der Weltweisheit und der deutschen Beredsamkeit“. Er hatte aber keinen Sitz und keine Stimme in der Fakultät und erhielt auch kein festes Gehalt.
Im Jahr 1750 wurde er Rektor der Königsberger Domschule. Nachhaltig bekannt wurde er als Gründer und Direktor der Deutschen Gesellschaft in Königsberg (1741). Darüber hinaus war er 1736 Mitglied der Deutschen Gesellschaft in Leipzig, 1739 der „Societas Latina“ in Jena, der „Deutschen Gesellschaft“ in Helmstedt und Greifswald (1755) und 1752 der „Teutschen Gesellschaft“ in Jena. Von ihm sind einige Schriften erhalten geblieben.
Cölestin Flottwell war seit 1746 mit Marie Luise Lübeck (1716-1795) verheiratet, mit der er eine Tochter hatte. Damit starb dieser Zweig der Familie aus.

Die Linie bis zu den „von Flottwells“ setzte Cölestins Bruder Jakob Theodor Flottwell (*1713) fort. Er wurde Verwalter und arbeitete als Kammerregistrator. Verheiratet war er mir einer Verwandten seiner Schwägerin, mutmaßlich deren Schwester, Sophie Lübeck.
Ihr Sohn Johann Friedrich Flottwell (1752- 1829) verließ Königsberg. Er war ebenfalls im preußischen Verwaltungsdienst tätig und wurde Polizeidirektor in der Kreisstadt Insterburg (russ. Tschernjachowsk). Er war mit Amalie v. Sanden (1764-1835), Tochter des Amtsrats und Generalpächter der Domäne Göritten (russ. Puschkino, Kr. Stallupönen) Wilhelm Sanden (1739-1785, die Nachkommen wurden nobilitiert) und der Charlotte Müller verheiratet.
Friedrichs Bruder Julius Flottwell († 1847) war Gutsbesitzer in Ostpreußen, zudem hatte er noch einen Bruder namens Friedrich (1852), der in Tilsit lebte, und zwei Schwestern.
Friedrich war der Vater des o. g. Oberpräsidenten Eduard Heinrich Flottwell.

Die Lebenswege der Nachkommen:
von Politzig im Kreis Meseritz bis ins Rheinland

Eduard Flottwell wurde im Laufe seiner beruflichen Karriere – wie es in Preußen üblich war – regelrecht durch alle Provinzen gereicht.
Noch in Ostpreußen heiratete er 1810 in Tilsit (russ. Sowetsk) Friederike Koslowski († 1812), mit der er einen Sohn namens Eduard Friedrich Wilhelm (1811-1862) bekam.
Eduard jr. wurde Stadtsyndikus im westpreußischen Elbing (Elblag). Sein Sohn Eduard (1844-1894) wurde Porträtmaler und Photograph in Magdeburg, Sohn Adalbert (*1846) arbeitete als Versicherungsbeamter bei Phönix in Duisburg. Beide hatten Nachkommen, mehrfach mit dem Namen Adalbert.
In zweiter Ehe heiratete Eduard 1814 in Königsberg die Pastorentochter Auguste Lüdecke (1796- 1862), Witwe des Regierungsdirektors Friedrich Schultz, mit der er elf Kinder bekam, von denen fünf früh starben.

Nachkommen hatten zwei Söhne. Sohn Theodor (1820-1886), der es bis zum Regierungsrat brachte, erblindete frühzeitig und war seither als Invalide auf Unterstützung angewiesen. Die Tochter Auguste (1816-1843) war mit dem Oberlehrer Dr. Theodor Thrinkler († 1871) verheiratet und zwei Töchter mit dem Pastor und brandenburgischen Konsistorialpräsidenten Immanuel Hegel (1814-1891), Sohn des bekannten Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831).
Der Sohn Hermann (1826-1873) war Forstmann und Landwirt. Mit seiner Frau Pauline v. Frantzius (1834-1897) bekam er fünf Kinder.

Der Sohn Adalbert v. Flottwell (1829-1909) – der Vater war 1861 in den Adelsstand erhoben worden – ist der bekannteste der Nachkommen Eduards.
Geboren wurde er am 3.2.1829 in Marienwerder (Kwidzyn) in Westpreußen, ehe er 1830 mit dem Vater nach Posen zog. Er studierte Staatswissenschaften und war dann Regierungsassessor in Potsdam und Posen. Neben seiner Tätigkeit in der preußischen Staatsverwaltung war er auch politisch tätig als Mitglied im Preußischen Abgeordnetenhaus und später im Deutschen Reichstag.

Bereits vor 1860 muß Adalbert Kontakt in den Kreis Meseritz gehabt haben, denn am 29.5.1860 heiratete er in Politzig (Policko) Ella v. Oppen (*1841 Landsberg a. d. Warthe). Sie war die Tochter des Rittergutsbesitzers Franz Georg Hermann v. Oppen (1805-1886) und der Marie Palm, von deren Vater er das Gut geerbt hatte. Die Söhne Adalbert Hermann (1861-1891) und Hermann Georg (*1864) wurden in Politzig geboren. Zwei Jahre nach der Hochzeit wurde der Vater Landrat des Kreises Meseritz (Miêdzyrzecz), ehe er 1868 mit seiner Versetzung die Provinz Posen für immer verließ. Die berufliche Laufbahn führte ihn nach Berlin, ins Fürstentum Waldeck-Pyrmont, nach Detmold, dann als Regierungspräsident in seiner Geburtsstadt Marienwerder und von dort aus als Bezirkspräsident von Lothringen nach Metz und schließlich nach Schlesien. Gestorben ist er am 29.5.1909 in Pullach im Rheinland – also ein normaler Lebensweg für einen preußischen Beamten.