Das 2. Polnisch-Deutsche Seminar in Pszczew / Betsche
Dr. Martin Sprungala - Text und Fotos





Beim diesjährigen Treffen der Heimatkreise Meseritz und Birnbaum (11.5.2013) in Perleberg war auch erstmals das Ehepaar Zaneta und Lukasz Robak aus Pszczew / Betsche dabei. Herrn Robak und seiner Frau liegt viel an der deutschpolnischen Aussöhnung und der Bewahrung der deutschen Spuren und Kultur im Raum Betsche und Meseritz.

Das 2. Polnisch-Deutsche Seminar in Pszczew / BetscheAus diesem Grunde gründeten sie am 29.9.2011 die „Fundacja na Rzecz Polsko-Niemieckiego Sasiedztwa” Stiftung der Polnisch-Deutschen Nachbarschaft, die im Jahr 2012 ein erstes polnisch-deutsches Begegnungsseminar veranstaltet hat. Im Mai in Perleberg hatten das Ehepaar Robak, der Vorsitzende des Heimatkreises Meseritz, Leonhard v. Kalckreuth, und der mit anwesende Historiker Dr. Martin Sprungala die Planung eines weiteren Seminars besprochen, das am 31.8.2013 in der Brennerei des ehemaligen Gutes Hiller von Gärtringen (zu Dohna) stattfinden sollte.

Bereits am 29.8.2013 reisten der Vorsitzende Leonhard v. Kalckreuth, seine Lebensgefährtin Maria Gräfin Vitzthum und Dr. Sprungala nach Betsche, da es im Vorfeld noch einige Dinge zu besprechen gab.

Das Seminar begann am folgenden Tag, am Freitag dem 30.8.2013, mit einem gemeinsamen Abendessen der bereits angereisten Gäste und Teilnehmer der Veranstaltung. Herr Robak eröffnete das Seminar am 31.8. um 10 Uhr und begrüsste die Teilnehmer und Ehrengäste. Allen voran natürlich den Kooperationspartner, den Heimatkreis Meseritz, vertreten durch seinen Vorsitzenden. Weiterhin waren anwesend der Betscher Bürgermeister (Wójt) Waldemar Górczynski, der Landbürgermeister der Gemeinde Pszczew / Betsche, Krystian Grabowski, die Vertreterin des Kulturausschusses und der seit 2009 im Amt befindliche katholische Betscher Probst Jerzy Galazka.

Der Wójt betonte in seiner Ansprache, daß er stets Veranstaltungen der polnisch-deutschen Zusammenarbeit und Freundschaft unterstützen werde und begrüsste alle heutigen und ehemaligen Betscher und Freunde der Gemeinde. Vor Beginn des ersten Beitrags dankte Lukasz Robak sehr herzlich dem Mitglied des Aufsichtsrats der Stiftung, Wanda Strózczynska, für ihre Hilfe bei der Planung der Veranstaltung mit einem Blumenstrauß.

Den ersten Vortrag mit dem Thema „Integrationsprozesse der Ethnien in der ehemaligen deutsch-polnischen Grenzregion bis 1945“ hielt Dr. Martin Sprungala (den kompletten Vortrag finden Sie hier).
Wie bei allen Beiträgen des heutigen Tages fungierte Wandas Tochter Ewa Wille aus Berlin als Dolmetscherin.
Der Referent stellte sich als ein Produkt des Integrationsprozesses vor, denn seine aus dem weiter südlich gelegenen Kreis Wolsztyn / Wollstein stammende Familie lebte seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert als Deutsche in Polen, deren Angehörige aber einen polnischen Namen trugen und dementsprechend vielfach mit polnischen Frauen verheiratet waren. Dr. Sprungala erinnerte an die zentrale Millenniumsfeier zur Staatsgründung Polens des Jahres 1966. Zu diesem Zeitpunkt waren die deutsch-polnischen Beziehungen durch die nationalsozialistische Besatzungspolitik, die vorausgegangene beiderseitige Minderheitenpolitik und die folgenden Flucht und Vertreibung auf einem absoluten Tiefpunkt angelangt.
Es waren die polnischen Bischöfe, die mit ihrem Brief an die deutschen Bischöfe vom 18.11.1965 mit dem Titel „Wir vergeben und bitten um Vergebung“ den Versuch eines Neuanfangs mit der Bundesrepublik Deutschland starteten. Diesen damals eingeleiteten Prozeß kann man heute nur als überaus erfolgreich, mutig und dankenswert bewerten.
Wie sehr wichtig es der katholischen Kirche Polens bis heute ist, diesen Weg fortzusetzen, zeigt auch das Ereignis des folgenden Tages, die Weihung der Gedenktafel bei der ehemaligen evangelischen (deutschen) Kirche in Miêdzychód / Birnbaum. Dr. Sprungala schilderte im Folgenden die verschiedenen Zuwanderungsphasen gerufener deutscher Siedler nach Polen, ihre Integration im neuen Heimatland und die Entwicklung bis 1945.

Nach einer kleinen Kaffeepause folgte der Vortrag „Slubfurt, nicht nur eine Vision. Deutsch-polnische Relationen im gemeinsamen Europa“ des 1963 in Darmstadt geborenen deutsch-polnischen Aktionskünstlers Michael Kurzwelly, der 1990 von Bonn nach Poznan / Posen ging, wo er das Internationale Kunstzentrum (Miêdzynarodowe Centrum Sztuki) gründete. Seit 1998 lebt er in Frankfurt /Oder und arbeitet seit 2004 an der Europa-Universität Viadrina.
Internationale Beachtung fand er mit dem Projekt Slubfurt, das die an der polnisch-deutschen Grenze gelegenen Städte Slubice (die ehemalige Frankfurter Dammvorstadt) und Frankfurt / Oder zu einer gemeinsamen Stadt zusammendenkt. Die von ihm entwickelte Strategie, Räume neu zu interpretieren und in sie hinein zu intervenieren, nennt er Wirklichkeitskonstruktionen. Ein weiteres Beispiel seiner Wirklichkeitskonstruktionen ist das Projekt „Weiße Zone“ (seit 2006). Der Künstler produzierte einen benutzbaren Wanderführer um die sog. „Weiße Zone“, ein 145 Quadratkilometer großes Gebiet (Letzlinger Heide) nordwestlich von Berlin, das er aus der Landkarte entfernte.
Im Jahr 2009 erhielt er ein Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds Bonn. 2011 bekamen er und sein Verein Slubfurt den Bundespreis für politische Bildung für das Projekt Kommunalwahlen in Slubfurt. Kurzwelly, der mit einer Polin verheiratet ist, spricht perfekt Polnisch und zeigte dies in seiner zweisprachigen Darstellung mit Bravour.

Da durch die beiden Vorträge die Zeit sehr vorangeschritten war, folgte direkt danach eine Kutschfahrt durch Betsche bis hin zur ehemaligen deutsch-polnischen Grenze, an der ein Denkmal an einen hier 1939 erschossenen Polen erinnert. Durch die Felder ging es dann zurück zum Tagungsort.

Den dritten Vortrag des Tages hielt der Leiter des Meseritzer Regionalmuseums, Andrzej Kirmiel: „Nationen und Kulturen und ihre Schnittstellen am Beispiel der aktuellen Ausstellung im Museum in Miedzyrzecz / Meseritz“.
Der Referent schilderte die Geschichte der Region und die Anzahl der einst hier lebenden Ethnien, von denen als wichtigste die Polen, Deutschen und Juden zu nennen sind.
Kirmiel stellte deutlich die Bedeutung und Besonderheit der von ihm unter Mithilfe des Heimatkreises Meseritz konzipierten Dauerausstellung „Deutsche und andere Bewohner von Meseritz“, die am 24.2.2012 eröffnet worden war. Übersetzt und in Deutsch vorgetragen wurden das Referat von Ewa Wille.

Im Anschluß an die Vortragsreihe hatten die Teilnehmer Gelegenheit, die Ausstellung „Die Region Meseritz und Birnbaum in Archivdokumenten“ zu betrachten. Auch hierbei war der Museumsdirektor Kirmiel durch Leihgaben behilflich. Nach dem gemeinsamen Abendessen folgte als krönender Abschluß die Vorführung alter polnischer Tänze der frühen Neuzeit durch das Folkloreensemble aus Skwierzyna / Schwerin.

Leider konnte die dazugehörige Musikgruppe nicht persönlich anwesend sein, so kam die schwungvolle Musik aus einer Aufzeichnung. Die Tänze verraten durch ihre Verschiedenheit die Unterschiede der polnischen Siedlungsgebiete in Masowien, Kleinpolen und im Lubliner Raum, zudem sind sie ein Ausdruck von Emotionen und hatten theatralische Aspekte in ihrer Darbietung. Besonders in den armen Landesteilen war die vom Ensemble getragene Festtagsbekleidung überaus farbig und aufwendig gestaltet.
Zwischen den sehr kraftanstrengenden Darbietungen brachten zwei Solisten musikalische Beiträge zu Gehör. Der Leiter betonte, daß seine Gruppe schon etwas älter, alle über 40 seien, dennoch hätten sie im vergangenen Jahr gegen eine viel jüngere Konkurrenz einen renommierten Preis für ihre Tänze gewonnen. Bei einem gemeinsames Abendessen mit dem polnischen Nationalgericht Bigos, Borschtsch (Rote- Bete-Suppe) und den auch den deutschen Gästen bekannten Plinsen (Kartoffel-Reibekuchen) klang die Veranstaltung in zahlreichen Gesprächen aus und man lernte sich näher kennen.
U.a. war aus dem Spreewald der Bürgermeister von Lübben, Lothar Bretterbauer, anwesend, dessen Gemeinde eine Patenschaft mit dem Nachbarkreis Wolsztyn / Wollstein pflegt. Unter den vielen polnischen Gästen war auch der langjährige Freund des Heimatkreises, Wojtek Derwich. An diesem Abend traf auch der Bus aus Perleberg und Berlin mit den angereisten Mitgliedern von Vorstand und Beirat ein, die am kommenden Tag der Gedenktafeleinweihung in Birnbaum beiwohnen wollten.

Eine Fortsetzung der Seminarreihe ist für Ende Juli 2014 nach dem Magdalenentag in Folwark Pszczew / Betsche geplant.