Gedenkstein für die Opfer von Flucht
und Vertreibung in Linstow

Gedenken der Deportation der Wolhyniendeutschen vor 100 Jahren
Dr. Martin Sprungala


Im mecklenburgischen Linstow fand am 17.5.2015 um 14 Uhr eine feierliche Gedenksteineinweihung und Erinnerung an die Deportation der Wolhyniendeutschen aus der heutigen Ukraine in die Weiten Rußlands, bis nach Sibirien im Jahr 1915 statt; unter großer Beteiligung auch der Politik, vertreten durch die Justizministerin Uta-Maria Kuder aus Schwerin und den Gesandten der Ukrainischen Botschaft, Olek Mirus.


Gedenkstein für die Opfer von Flucht und Vertreibung in Linstow 2015


Im Jahr 1915 begann die Deportation der Wolhyniendeutschen im russischen Zarenreich, die Teil einer Vielzahl von Zwangsmaßnahmen gegen die ethnischen Minderheiten in Rußland war. Auslöser war die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, der 1. Weltkrieg, der jegliches moralisches Verhalten auslöschte und in dem es zu Gewaltaktionen gegen Minderheiten kam bis hin zu Massenmorden und Genoziden wie sie u. a. an den Armeniern verübt wurden. Hieran wurde erstmals im größeren öffentlichen Rahmen im April 2015 seitens der Politik gesprochen.
Auch an eine Gewalttat gegen eine kleine deutsche Siedlungsgruppe, die Wolhyniendeutschen, deren schweres Schicksal im 20. Jahrhundert hier seinen dramatischen, mörderischen Auftakt nahm, wollte das Wolhynische Umsiedlermuseum in Linstow erinnern – und dies gelang furios in einer sehr würdigen, mit etwa 140 Personen aus Nah und Fern gut besuchten Veranstaltung.
Das Museum hat bereits im vergangenen Jahr einen „Garten des Gedenkens“ eingerichtet, in dem der Grabstein der 1936 in Wolhynien verstorbenen Adoline Wörffel (1893-1936) aufgestellt wurde. Beim 22. Museumsfest wurde erstmals der Toten von Krieg, Deportation, Flucht und Vertreibung durch den Schirmherrn des Festes, den Bundessprecher, gedacht (siehe WW 12/2014).
Die Idee, einen Gedenkstein zu errichten und ihn im 100. Jahr der Deportation feierlich einzuweihen, wurde in der Folgezeit umgesetzt und in der Gedenkfeier vom 17.5.2015 abgeschlossen.

Um 14 Uhr eröffnete der Posaunenchor mit dem Wolhynierlied, von dem drei alte und drei neue Strophen von den Vereinsmitgliedern mitgesungen wurden, die Gedenkveranstaltung. Im Folgenden umrahmten weitere Lieder des Chores die Veranstaltung. Die Einleitung in die historische Thematik In seiner Eröffnungsrede konnte Johannes Herbst, der Vorsitzende des Heimatvereins Linstow e. V., der Träger des Wolhynischen Umsiedlermuseums ist, eine Vielzahl an hochrangigen Ehrengästen begrüssen, so die mecklenburg-vorpommersche Justizministerin Uta-Maria Kuder, den Gesandten der ukrainischen Botschaft, Botschaftsrat Oleg Mirus mit seiner Frau (siehe auch Wolhyniertreffen, in: WW 3+4/2015), den Landrat des Kreises Rostock, Sebastian Constien, den Bürgermeister der Gemeinde Dobbin-Linstow, Wilfried Baldermann, die Referentin der Landeszentrale für politische Bildung aus Schwerin, Dr. Iduna Sager, den Bundessprecher der Landsmannschaft Weichsel- Warthe, Dr. Martin Sprungala, den Landtagsabgeordneten Torsten Renz und den Leiter der Europäischen Akademie in Rostock, Jörn Mothes, der mit einer Gruppe von etwa je einem Dutzend Studenten der Universitäten Rostock und Krakau (Kraków) gekommen war.

Johannes Herbst erinnerte an das schwere Schicksal der Wolhyniendeutschen, das mit dem Liquidationsgesetz von 1915 begann. Er stellte die Frage: „Die Erlebnisgeneration hat damals gesagt, ‚Nie wieder Krieg’, - in Europa war man davon beseelt. 70 Jahre hat das auch gewirkt!“ Und Herr Herbst bekundete: „Und das ist das Problem, wenn die historischen Ereignisse nicht objektiv weitergegeben werden, dann wird sich die Geschichte wiederholen, und zwar so lange, wie man nicht gewillt ist, alles dafür zu tun, der jungen Generation dies anschaulich zu überbringen. Dazu wollen wir mit unserem kleinen Museum, und real im vergangenen Jahrhundert durchleben mußten, einen Beitrag leisten“. Er schlußfolgerte: „Das Wissen um die eigene Geschichte ist eine wesentliche Grundlage zur Resistenz gegen nationalistische und rechtsradikale Gedanken.“

Anschließend übergab Johannes Herbst das Wort an den Historiker Dr. Martin Sprungala, der einen historischen Abriß der Ursachen und Ereignisse des Jahres 1915 in Wolhynien und in Rußland gab. (Der verkürzte Vortrag wird in einem gesonderten Beitrag abgedruckt werden). Grußworte Das erste Grußwort für die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern sprach die Justizministerin Uta-Maria Kuder: „Es ist wichtig, daß wir heute an die Folgen des von Hitlerdeutschland begonnenen Krieges mehr denn je erinnern. Die Folgen weltweiten Terrors sind 70 Jahre nach Kriegsende leider wieder hochaktuell. Darum bin ich dem Heimatverein Linstow mit seinen wolhyniendeutschen Familien dankbar dafür, daß sie einen Gedenkstein zur Erinnerung an die Opfer von Flucht und Vertreibung gesetzt haben. Aus ihrer eigenen schmerzhaften Erfahrung können sie berichten, welches Leid und welche Ängste Flüchtlinge aus aller Welt auszustehen haben, die heute bei uns in Mecklenburg-Vorpommern Zuflucht suchen“.
In seinem Grußwort betonte der Gesandte Oleg Mirus wie wichtig der ukrainischen Botschaft die Arbeit der ehemaligen Bewohner seines Landes sei. Der Verlust der vielen Gruppen, die einst in der Ukraine gelebt haben, macht sich in der Landesgeschichte schmerzlich bemerkbar. Wären sie noch vorhanden, wäre die Geschichte anders verlaufen und die Annäherung der Ukraine an die Europäische Union vielleicht viel eher erfolgt. Ein weiteres Grußwort hielt Bürgermeister Wilfried Baldermann, der betonte, die Gemeinde Dobbin-Linstow werde alles tun, um dieses Schatzkästchen der Gemeinde, wie er das Museum nannte, zu bewahren. Auch Frau Dr. Iduna Sager von der Landeszentrale für politische Bildung zeigte sich beeindruckt von der Arbeitsleistung des Linstower Museums und sagte die Unterstützung ihres Hauses zu.

Aus Polen angereist war Pfarrer Waclaw Kuriata aus Mirków / Mirkau nordöstlich von Breslau / Wroclaw. Er ist führendes Mitglied im Verein der ehemaligen polnischen Wolhynier. Der gut Deutsch sprechende Kleriker betonte, daß es ihm eine große Freude sei, die wolhynischen Brüder und Geschwister in Deutschland, hier in Linstow, vor einigen Jahren wiedergefunden zu haben. Seit neun Jahren hat das Museum Linstow auch Kontakt zur Europäischen Akademie in Rostock. In diesem Jahr nahm die seither obligatorische Besuchergruppe aus Rostock und Polen an der Gedenkfeier teil und konnte ein Stück gelebte Geschichte und Geschichtserinnerung miterleben.
Der Leiter der Akademie, Jörn Mothes, der vor seiner Tätigkeit hier langjähriger Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen in Mecklenburg-Vorpommern war, hielt ebenfalls ein Grußwort.

Gedenksteinenthüllung
Anschließend an die Grußworte begaben sich alle zum Gedenkstein, der dreisprachig – deutsch, polnisch und ukrainisch – beschriftet ist mit den Worten: „Den Opfern von Flucht und Vertreibung“. Der Posaunenchor spielte das Lied: „Großer Gott wir loben Dich“.

Anschließend hielt Pastor Oliver Behre, stellvertretender Vorsitzender des Hilfskomitees der evangelisch-lutherischen Deutschen aus Polen e.V. und seit Jahren dessen Wolhynienbeauftragter, zusammen mit Pfarrer Waclaw Kuriata eine ökumenische Andacht. Der Gedenkstein war mit einer dreigestaltigen Fahne, bestehend aus der ukrainischen, polnischen und deutschen Fahne, abgedeckt und wurde durch Vertreter der drei einst in Wolhynien ansässigen Siedlungsgruppen enthüllt: Ernst Reimann aus Linstow, Botschaftsgesandter Olek Mirus sowie der Wolhynier Erwin Würfel aus Bielefeld und Stefan Kuriati aus Breslau. Der Gesandte Mirus hatte zuvor ein Blumengebinde am Gedenkstein niedergelegt.

Anschließend lud Herr Herbst die Anwesenden zu Kaffee und Kuchen ein und führte den Gesandten mit seiner Frau durch das Museum, da diese bald wieder abreisen mußten. Später folgten dann weitere Führungen für die deutschen und polnischen Studenten u. a. Gäste. Direkt nach der Veranstaltung reiste Pastor Behre mit dem öffentlichen Bus in die Ukraine, nach Lutsk in Wolhynien, ab. Aus diesem Grunde hatte Herr Herbst alle Anwesenden um eine Spende gebeten, damit die Gelder, die er bereits bei sich hatte, noch um weitere Hilfen für die Gemeinde Lutsk erweitert werden konnten.
Es kamen 255 Euro zusammen. Bei der weiteren Führung der polnischen Studenten durch die Ausstellungen standen nicht nur Johannes Herbst, sondern auch Ernst Reimann, Dr. Sprungala und der mit ihm angereiste Leonhard v. Kalckreuth für Fragen zur Verfügung, wovon auch ausführlich Gebrauch gemacht wurde. Somit bekamen die Studenten an diesem Tag eine sehr anschauliche Geschichtsstunde.