Kurze Darstellung der Geschichte des Kreis Birnbaum
von Leonhard v. Kalckreuth u. Dr. Martin Sprungala

 
Poln. TextDer Kreis Birnbaum (Miedzychód) gehörte bis 1793 zum Kreis Posen, der dann von den Preußen neu gegliedert wurde, weil er viel zu groß war. So wurde der Kreis Meseritz geschaffen, zu dem Birnbaum bis 1818 gehörte. Am 1.1.1818 wurde der Kreis Birnbaum mit Sitz in Chalin (pl. Chalin) eingerichtet. Am 1.6.1833 wurde das landrätliche Büro nach Zirke (Sieraków) verlegt. Erst mit dem Beitritt zum Norddeutschen Bund (1867) wurde Birnbaum Sitz der Verwaltung. 1887 wurde das nordwestliche Kreisgebiet als „Kreis Schwerin“ von Birnbaum abgetrennt. Seither kam es zu kleinen Änderungen, so wurde am 30.9.1898 der Gutsbezirk Neu Görtzig (Gorzycko Male) aus dem Kreis Schwerin übernommen, am 3.6.1907 kamen Teile des Gutbezirks Kreuzwehr (Krzyzkówko) aus dem Kreis Meseritz in den Kreis Birnbaum, im Gegenzug kam die Gemeinde Rozbitek am 30.4.1910 zum Kreis Meseritz. Als der Kreis 1920 an Polen abgetreten werden mußte, umfaßte er 96 Gemeinden.

Durch den Kreis Birnbaum fließt nicht nur die Warthe, hier befinden sich zudem eine sehr große Anzahl von Seen, die 4,71 % der Kreisfläche ausmachten. Als Teil des eiszeitlichen Urstromtals ist die Birnbaumer Region ein sehr feuchtes, landwirtschaftlich nicht sehr ertragreiches Gebiet – eine typische Grenzregion. Hier endete einst das polnische Königreich und war die Grenzregion zur brandenburgischen Neumark. Die dünn gestreute Bevölkerung dürfte sich in erster Linie von der Fischerei ernährt haben.
Eine systematische Kolonisation erfolgte in Polen erst seit dem 13. Jahrhundert auf Betreiben der Teilherzöge und vor allem durch den lokalen Adel. Hauptunternehmer der Besiedlung waren die Zisterzienser, die im Gebiet um Birnbaum jedoch nur am Rande (Paradies, im Kreis Meseritz und in Blesen, im Kreis Schwerin) vertreten waren. Von einer größeren Besiedlung kann im Birnbaumer Bereich nicht die Rede sein, aber zwei Orte erhielten das deutsche Stadtrecht: Zirke an der Warthe (Sieraków) nach 1388 und Birnbaum (nach 1400). Der polnische Name der Stadt „Miedzychód“ bedeutet soviel wie „zwischen den Wegen“ und bezeichnet ihre Lage als Kreuzung zweier Handelswege, einmal in Ost-West-Richtung von Posen in die Neumark und in Süd-Nord-Richtung nach Driesen und Filehne.

Eigentümer der Herrschaft Birnbaum war die großpolnische Magnatenfamilie (v.) Ostroróg, der auch die Städte Grätz, Tirschtiegel und Scharfenort (Kr. Samter, pl. Ostroróg), dazu unzählige Dörfer in Groß- und Kleinpolen gehörten. Im 15. Jahrhundert zählte die Familie eher zu den deutschkritischen Adeligen, obwohl Jan (v.) Ostroróg in Deutschland studiert hatte. Diese antideutsche Haltung wandelte sich in den nächsten Generationen. Der Enkel Stanislaw (v.) Ostroróg (1520-1568) zählt zu den Protagonisten des polnischen Luthertums. Er wendete sich, anders als sein Großvater, dem Deutschtum offen zu: sein Gutsverwalter war ein deutscher Jugendfreund und sein Schwager war der Lausitzer Melchior v. Bieberstein, ebenfalls ein eifriger Anhänger Luthers. Mit Herzog Albrecht von Preußen (1490-1568) war er eng befreundet und galt nach dem Tod des lutherischen Generalstarosten Andrzej Górka (gestorben 1551) als nächster Fürsprecher der Protestanten und erhielt als nächster den Titel eines weltlichen Seniors der großpolnischen evangelischen Kirche. Sein früher Tod war ein schwerer Verlust für die Lutheraner, aber noch schwerer wog die Rückkehr der Söhne zur katholischen Kirche (1590). Ihre „dissidentischen“ Kirchen gaben sie an die Katholiken zurück, so auch die Kirche in Birnbaum. Die Herrschaft verkaufte Jan Ostroróg (1565-1622) einige Jahre später an die aus Schlesien zuziehende Familie v. Unruh.
Christoph von Unruh (gestorben 1622) und seine Nachkommen waren seither die Beschützer der Birnbaumer Protestanten, erwarben nach und nach weitere Herrschaften und begannen eine intensive Ansiedlung von deutschen Glaubensflüchtlingen in ihrem Gutsbereich. Durch die starke Zuwanderung protestantischer Siedler entstanden neue deutsche Dörfer wie Eulenberg (Sowia Góra), Großdorf (Wielowies), Kapline (Kaplin), Lindenstadt (Lipowiec), Merine (Mierzyn), Mokritz (Mokrzec), Muchocin (Muchocin) und Radegosch (Radgoszcz).

Christophs Erben teilten die Herrschaft in die Birnbaumer Hauptlinie des Georg von Unruh (1580-1652) und eine Schweriner in Schweinert. Bereits Christoph erwarb sich in Polen hohes Ansehen als Starost von Deutsch Krone (Walcz) und Oberburgrichter in Posen (Poznan).
Den Höhepunkt der wirtschaftlichen und politischen Machtentwicklung erlangte die Familie mit der dritten Generation durch den Sohn Georgs, Christoph v. Unruh, d. J. (1624-1689). Er nahm als Gesandter an den Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück (Westfälischer Friede) teil, gründete die Stadt Unruhstadt (1647).

Während des Kleinen Nordischen Krieges brach auch im Raum Birnbaum die Pest aus (1656), der fast jeder zweite Einwohner zum Opfer fiel. Die Familie v. Unruh floh nach Driesen (Drezdenko). 1657 wendete sich das Kriegsgeschick für die Polen und der polnische Großhetman (pl. Hetman Wielki, Oberster Heerführer im Königreich Polen) Stefan Czarniecki (1599-1665) unternahm von Birnbaum aus Einfälle in die Neumark und nach Pommern. Am 7.6.1658 verweilte auch König Johann Kasimir in Birnbaum. Als Oberst kämpfte v. Unruh an vorderster Front mit und erhielt nach dem Krieg eine Vielzahl an Auszeichnungen. Christoph vergrößerte den Familienbesitz auf 4 Städte und 42 Dörfer. Das Epitaph des Christoph steht bis heute in der Vorhalle der ehemals protestantischen, heute katholischen, Stadtkirche.
Nach seinem Tod übernahm Boguslaus v. Unruh (1661-1725) die Erbherrschaft Birnbaum, andere Teile der Herrschaft gingen an seine Geschwister, so z.B. die Herrschaft Schokken (Skoki) im Kreis Wongrowitz an Georg v. Unruh (1652-1710). Auch Boguslaw hatte einige Ehrenämter inne, eine Berufung in den Senat, verbunden mit der Leitung einer Wojewodschaft, lehnte er ab, weil er dafür zum Katholizismus hätte konvertieren müssen.
Die Familie kam dennoch in die Mühlen der Gegenreformation. Sigismund v. Unruh, Erbherr von Punitz (Poniec, Kr. Gostyn), wurde 1716 von mißgünstigen Gegnern wegen bissiger Notizen gegen die Jesuiten in seinem Taschenbuch, das ihm aus seinem Schreibtisch in der Starostei gestohlen worden war, vor dem Tribunal in Petrikau (Piotrków Trybunalski) der Gotteslästerung bezichtigt und verurteilt. Gleichzeitig sollten seine Güter beschlagnahmt werden. Die Familie v. Unruh erhob daraufhin Einspruch und mußte einen kostspieligen Prozeß führen, der sie langfristig finanziell schädigte. Die Kosten des Rechtsstreits in Höhe von 645.000 Gulden ruinierten die Familie.
Daß es aber auch ein friedliches Nebeneinander der Konfessionen gab, davon zeugt eine in der Pfarrchronik nachzulesende Abmachung zwischen Georg v. Unruh (1652-1701) und dem katholischen Pfarrer, wonach die beiden Konfessionen im Ort friedlich miteinander zu leben verpflichtet wurden.
Bedeutsam für die gesamte evangelische Kirche Polens war eine am 30.9.1677 in Birnbaum gehaltene Synode großpolnischer lutherischer Pastoren und Patrone, auf der wichtige Beschlüsse gefaßt wurden.

Nach Boguslaus v. Unruhs Tod im Jahre 1725 übernahm sein ältester Sohn Christoph v. Unruh (1689-1763) die Erbherrschaft Birnbaum. Als Anhänger der aus dem sächsischen Hause Wettin stammenden polnischen Könige gewann er beim polnischen Hof hohes Ansehen und verweilte zumeist in der Nähe des Herrschers, der ihn 1742 in den deutschen Reichsgrafenstand erhob. Der 5. Erbherr von Birnbaum, Christoph v. Unruh, starb 1763 kinderlos.
Er vererbte seine inzwischen verschuldete Herrschaft Birnbaum seinem Bruder Peter v. Unruh und dessen Sohn Boguslaus v. Unruh (1742-1779). Nach dem frühen Tod von Peter v. Unruh geriet die Familie in Streit um das Erbe, so daß die hoch verschuldete Herrschaft Birnbaum 1790 an den Protestanten Mielecki, den zweiten Mann der Witwe Peter v. Unruhs, verkauft wurde. Lediglich das Gut Klein Münche (Mnichy Male) blieb bis 1945 in Unruh’schem Besitz.
Der Herr von Mielecki veräußerte die Herrschaft Birnbaum bald weiter. Zeitweise gehörten die Güter auch dem preußischen Staatsmann Freiherr v. Stein, der sie später dem preußischen Fiskus übertrug.

Eine wichtige Quelle über die Geschichte der Region liefert eine im 17. Jahrhundert begonnene handschriftliche Chronik der Pastöre der evangelischen Gemeinde zu Birnbaum, der man wichtige historische Informationen entnehmen kann. Diese Chronik ist erhalten geblieben und wird jetzt im erzbischöflichen Diözesanarchiv in Posen aufbewahrt.

Seit 1793 war die Region Birnbaum Teil Preußens, dann wenige Jahre im Herzogtum Warschau Vasallengebiet Napoleons, ehe der Kreis Birnbaum nach 1815 als neuer preußischer Kreis eingerichtet wurde. Die preußische Herrschaft brachte viele Veränderungen mit sich – sowohl sozialer wie wirtschaftlicher Art. Die Leibeigenschaft wurde aufgehoben und die Restriktionen gegen die Juden ebenfalls beseitigt. Birnbaum hat einige bekannte jüdische Persönlichkeiten hervorgebracht, so z.B. die Kaufmannsfamilie Tietz. Es sind da zu nennen die Brüder Leonhard Tietz (1849-1914), Gründer der Kaufhof AG und Oskar Tietz (1859-1923), der zusammen mit seinem Onkel Hermann Gründer von Hertie wurde. Sie waren damit die Besitzer der größten Warenhauskonzerne Europas ihrer Zeit. Ihre Heimatstadt, deren Ehrenbürger sie wurden, haben sie dabei nicht vergessen und sie bis an ihr Ende mit großen Zuwendungen bedacht. Weiterhin ist der Maler Lesser Ury (1861-1931) zu nennen, der ein Vorkämpfer des Impressionismus in Deutschland war.

Auf wirtschaftlichem Gebiet wurde der Ausbau der Infrastruktur vorangetrieben, begonnen mit dem Bau von Chausseen. Den Anschluß an die Eisenbahn erhielt die Stadt erst im Jahre 1887 (nach Meseritz). 1888 wurde die Strecke nach Posen über Pinne fertiggestellt. Erst in den Jahren 1906-1909 entstanden Netzverbindungen nach Samter über Zirke, Bentschen und Schwerin.
Nur von geringem wirtschaftlichen Nutzen blieb die Warthe als Verkehrsweg, sie stellte wegen häufigen Eisgangs im ausgehenden Winter und Überschwemmungen eher eine Bedrohung der Stadt bzw. ihrer Brücke dar.
Industriell blieb der Kreis weiterhin rückständig und unterentwickelt, zumal die Warthe nur bedingt als Verkehrsweg dienen konnte. Es blieb bei einer Fabrik für Landmaschinen sowie einer Konservenfabrik. In Zirke entstand ein bedeutendes Hengstgestüt, das dem Militär diente.
Mit dem Großpolnischen Aufstand wurde auch der Kreis Birnbaum von den Polen erobert und nach 1920 begann die Abwanderung der Deutschen, die 1945 in Flucht und Vertreibung den Endpunkt des Deutschtums im Kreis fand und damit die Aufbauarbeit der Unruhs nach 300 Jahren vernichtete.

Liste der Ortsnamen Deutsch-Polnisch Kreis Birnbaum

Liste bedeutender Persönlichkeiten aus Birnbaum

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